30 Euro und keinen mehr

Symbolischer Kampf gegen die Gepflogenheiten der Marktwirtschaft: Michel Chevalier betreibt im Münzviertel einen Laden für „konsequente Kunst“, in dem Wohlhabende nichts kaufen dürfen

VON KATRIN BONNY

In großen Lettern steht es über dem Ladentisch: „Wenn Sie mehr als 50.000 Euro Vermögen haben, können Sie hier nicht einkaufen. Sie können sich jedoch gern umschauen.“ An der Decke wellen sich einzigartige Tapeten: Ein Wasserschaden im Stockwerk drüber. In einer Seitenstraße im Münzviertel hat Michel Chevalier seinen temporären Kunstladen „Unlimited Liability“ eingerichtet. Im Untergeschoss einer leer stehenden Mietwohnung. Es riecht feucht hier, nur wenig Licht fällt durch die vergitterten Fenster.

Der Laden sei „ein symbolischer Kampf“, erklärt Chevalier, „außerhalb der Konventionen der freien Marktwirtschaft“. Spricht’s und setzt sich hinter den Ladentisch für 30 Euro, mit Selbstbauanleitung. Er selbst bezeichnet sich als „Art-Practioner“, momentan als kostenloses Interface zwischen Künstler und Käufer, sagt der 39-Jährige in ständig wechselnder Sprache – seine Herkunft französisch, seine Heimat Washington in den USA. 77 Künstler, Verleger und Musiker aus acht Ländern seien hier vertreten, sagt er, mit ihren Sachen zum Hören, Sehen, Lesen und Schmecken. Alles für jeweils weniger als 30 Euro. „Stickers, DVDs, CDs, Dienstleistungen, Fotos, Poster, Zines, Shirts, Buttons, Essen, Getränke“ zählt eine Selbstdarstellung im Internet auf – „nur Zeichnung und Malerei sind ausgeschlossen“.

Das großformatige Foto der „Queen Mary“ am Eingang habe die Preisschwelle bereits überschritten, sagt Chevalier. Für das Bild werden nur Lose angeboten, 50 Cent das Stück. Ein anderes Alternativ-Angebot sind „bei der Erwerbsarbeit geklaute Objekte“, die nur getauscht werden.

Unlimited Liability – englisch für „unbegrenzte Haftung“ – bedeute eine „Gegenbewegung zur GmbH“, sagt Chevalier, „dem Grundstein der kapitalistischen Unternehmensform“. Zum Erwerb eines Kunstwerks wird ein Kaufvertrag aufgesetzt. Bei falschen Angaben über die eigenen Vermögensverhältnisse verpflichtet der den Käufer zu einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 Euro – und zur Rückgabe des Gekauften. „Dieses Verfahren soll vor allem ein Anlass zur Auseinandersetzung sein“, sagt Chevalier. Bisher habe sich nur ein einziger Käufer nachträglich als vermögender Galerist entpuppt. Chevalier: „Er wollte mich provozieren.“

Gegen die „zunehmende kapitalistische Steuerung des Kunstmarktes“ wolle er sich verwahren, fährt er fort. Seinen Lebensunterhalt verdient Chevalier mit Übersetzungen. Mit der Kunst beschäftigt er sich dann anschließend. Inspiriert habe ihn besonders die Idee „einer angewandten Ästhetik“, sagt er: die Situationisten und die Fluxus-Bewegung – Referenzen, die er im Lehrplan der örtlichen Kunsthochschule nicht finde.

Statt das „aufgesetzte Comeback der Malerei“ und seinen „Geniekult“ zu unterstützen, die derzeit den Kunstmarkt beflügeln, sucht Chevalier das andere Publikum für seine „konsequente Kunst“: Eingeschweißte Konfetti in Tütchen, hergestellt aus Einladungskarten für Ausstellungen, ein „Ready-made zur unbeschränkten Haftung“, doppelseitig haftendes Klebeband, ein Roman aus Mustersätzen eines englischen Wörterbuches sowie „Theoriemarmelade“.

Seit zehn Jahren lebt Chevalier selbst in St. Georg, nicht weit vom Laden entfernt: „Für die Eröffnung habe ich hier 150 Sektglas-Gutscheine verteilt“, erzählt er, „und drei Nachbarn sind gekommen. Voll ist es trotzdem geworden.“

Norderstr. 71, UG, geöffnet Do–Sa 13–20 Uhr, So 13–16 Uhr