Mein Koffer, der Gott

In ihren Essays erzählt Dubravka Ugresic, wie sich Identität und Vaterland, Sprache und Heimat, Literatur und Nation entkoppeln

Dubravka Ugresic ist nicht religiös, aber einen Gott hat sie: den Koffer, mit dem die kroatische Exilantin in der Welt herumzieht. Er ist ihr ständiger Begleiter, ein treuer Helfer in der Fremde, der einzige Zeuge ihrer Reisen. Und wenn sie von irgendetwas träumt, dann von einem neuen Koffer, einem teuren Luxusexemplar. „ ‚East, West, home’s best‘, sagen viele. Viele haben unrecht. ‚East, West, suitcase’s best!‘“

Ein nicht allzu kleines Fach in Ugresic’ Koffer ist mit Texten gefüllt. Seit ihrer Emigration 1993 hat die Schriftstellerin und Essayistin den Verlust der Heimat Jugoslawien, die „Kultur der Lüge“ in den Nachfolgestaaten und die Erfahrungen des Exils schreibend reflektiert. Neben den Romanen „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“ und „Das Ministerium der Schmerzen“ sind in Deutschland, den USA und den Niederlanden, wo sie jetzt lebt, Feuilletons und Essays für Zeitungen und Zeitschriften entstanden. Ihre Zusammenstellung in dem neuen Band „Keiner zu Hause“ zeigt, wie sich die 58-Jährige mit Witz, Erzählfreude und Scharfsinn gegen ihre Lebensumstände und die Umwelt zur Wehr setzt.

In den Zeitungsfeuilletons wendet sich Ugresic den Dingen des Alltags und allerlei Phantasmen zu: dem Koffer, holländischen Kunststofftulpen, einem Vogelhäuschen oder dem amerikanischen Jugendwahn. Besser aber entfaltet sich ihre Kunst des abschweifenden und ausschweifenden Nachdenkens, das mit allen, auch erzählerischen Wassern gewaschen ist, in den längeren Essays.

Wütend registriert Ugresic etwa, wie gründlich der nationale Furor in Kroatien die jugoslawische Vergangenheit beseitigt hat, sodass es keine kommunistischen, wohl aber faschistische Souvenirs zu kaufen gibt: Wer eine der tragenden Wände im Gebäude „gesellschaftlicher Imagination“ (Slavoj Žižek) herausstemmt, setzt das ganze Bauwerk in Bewegung.

Solche Erschütterungen spürt Ugresic immer wieder auf, nicht zuletzt weil sie am eigenen Leib erlebt, wie sich Identität und Vaterland, Sprache und Heimat, Literatur und Nation entkoppeln. Doch wann immer sie sich über Abgründen solcher „Literarischen Geopolitik“ wiederfindet, schickt sie ein beißendes Lachen hinab – zur Vermessung. JÖRG PLATH

Dubravka Ugresic: „Keiner zu Hause. Essays“. Deutsch von Barbara Antkowiak, Angela Richter, Mirjana Wittmann und Klaus Wittmann. Berlin Verlag, Berlin 2007, 306 Seiten, 22 Euro