Mit auffallendem Akzent

Fette Autos, fettes Essen: Miss Platnum macht aus diesen Sachen schönen Hiphop in Balkanfarben. Zu hören auf ihrem Album „Chefa“ und bei ihrem nächsten Konzert auf dem Festival Popdeurope

VON KERSTIN RUSKOWSKI

Auf dem Booklet ist sie eine Diva – mit weißem Pelzmantel, rot lackierten Fingernägeln und glitzerndem Diadem in der auftoupierten Mähne. Zum Gespräch in einem Berliner Café erscheint Ruth Maria Renner aka Miss Platnum dagegen ungeschminkt, die Haare locker hochgesteckt, mit Leggings unter dem Jeansrock, Ringelshirt und grellbunten Nike-Oldschool-Sneakers. Dieser Kontrast gehört für die 26-jährige Deutschrumänin dazu – als Miss Platnum kann sie einen Look ausleben, den sie im normalen Leben nicht tragen würde, und auf der Bühne die „Attitüde einer Balkan-R-’n’-B-Queen“ vermitteln. „Trotzdem sollte man solche Klischees nicht allzu ernst nehmen“, meint die Künstlerin.

Seit Mai steht ihr zweites Debütalbum in den Plattenläden. Zweites Debütalbum? Richtig, denn „Chefa“ ist das erste Album von Miss Platnum. Vor drei Jahren hat Renner aber schon als „Platnum“ ein allererstes Album beim Szene-Label Sonar Kollektiv veröffentlicht. Das allerdings floppte. „Die Musik war nicht speziell genug“, glaubt die Sängerin, die sich jetzt auf eine Mischung aus R ’n’ B, Hiphop und folkloristischen Balkaneinflüssen aus ihrer Heimat eingeschossen hat. „Dass es im Moment so eine Art Balkanwelle gibt, ist natürlich praktisch für mich“, erklärt Renner. Auf dem Festival Popdeurope tritt sie am 1. August an einem Abend mit Shantel & Bucovina Club Orkestar auf, die mit Soundtracks zum Borat-Film und für Fatih Akin bekannt wurden.

Obwohl sie schon seit ihrem achten Lebensjahr in Deutschland lebt, hat Renner noch immer einen starken Bezug zu Rumänien. Mindestens einmal im Jahr besucht sie ihre Verwandten dort. In dem Haus, das ihre Eltern in Rumänien gebaut haben, wurden auch Teile des Albums aufgenommen.

An ihre Kindheit in Rumänien erinnert sich die Sängerin noch gut. „Klar sind das größtenteils Situationen, die ich als Kind nicht verstanden habe“, sagt Renner, deren Eltern viele Freunde hatten, mit denen sie hinter verschlossener Tür über Ceaușescu herzogen. Darüber durften Ruth und ihr älterer Bruder aber mit niemandem sprechen – die Gefahr, dass jemand von der Securitate mithörte, war zu groß. Auch als ihre Eltern nach Deutschland flüchteten und Ruth und ihren Bruder bei der Großmutter zurückließen, erfuhren die Kinder davon zunächst nichts. „Das hätte ja auch schiefgehen können“, weiß sie heute.

Den rumänischen Anstrich des Miss-Platnum-Konzepts pflegt die Sängerin auch mit dem auffallenden Akzent, den sie sich „als Stilmittel“ für etwa die Hälfte ihrer Lieder vorbehält. Und beim Bühnenoutfit, wenn Miss Platnum und ihre beiden Backgroundsängerinnen mit der Rüschenschürze um die Hüfte Gas geben.

Viele der zwölf Songs auf „Chefa“, wie beispielsweise „Mercedes Benz“, spielen mit Klischees, die Westeuropäer von Osteuropäern haben. „Ich würde auch gerne einen fetten Jeep fahren, obwohl es totaler Schwachsinn ist“, gesteht sie. Sie verarbeitet auch Themen wie die Hilflosigkeit der Rumänen unter Ceaușescu (in „Sinking Boat“) und das Aufbegehren des Volkes gegen den Diktator. Der Rhythmus des Liedes erinnert dabei an die Pauke auf einer Sklavengaleere.

Dennoch ist sie nicht von einer „riesengroße Message“ getrieben. In ihrer ersten Singleauskopplung „Give me the food“ geht es um das Thema Essen: „I love to eat. It’s in my genes. I can’t control.“ Für den Magerhype haben weder Renner noch Miss Platnum Verständnis.

Ihre Plattenfirma Four Music griff zur Vermarktung von Miss Platnum auch in die biografische Kiste. Von Drogenexzessen nach dem erfolglosen ersten Platnum-Album ist in der Pressemitteilung die Rede. Die Drogen, mit denen Renner sich die Enttäuschung über den Flop erträglicher machen wollte, waren hauptsächlich Alkohol: „Etwa ein halbes Jahr lang habe ich den Frust über das gefloppte Album im Alkohol ertränkt.“ Es war hart für die junge Künstlerin: „Ich habe darüber nachgedacht, alles hinzuschmeißen.“

Gut, dass sie sich nach etwa einem Jahr gegen die Lethargie entschied und jetzt als krasse Party-Queen Musik für ein breites Publikum macht. Four Music hat sie mit ihrem Mix aus R ’n’ B, Hiphop und Folklore überzeugt. Renners Konzept scheint aufzugehen – auf Plakaten an Berliner Mauern und Litfaßsäulen und auch in den großen Plattenläden blitzt einem das bunte Cover von „Chefa“ überall entgegen. Sie hat ihren Traum verwirklicht. Einen Plan B gibt es nicht. Sie hat weder eine Ausbildung noch ein Studium vorzuweisen. „Den Plan B mache ich mir dann, wenn es so weit ist.“

„Chefa“. Four Music Productions 2007. Vom 14. Juli bis 4. August läuft das Sommerfestival Popdeurope in der Arena. Konzert von Miss Platnum und Shantel & Bucovina Club Orkestar am 1. August, 19 Uhr, in der Arena. Infos: www.popdeurope.arena-berlin.de