Der Kompromiss-Bahnhof

STUTTGART 21 Bei der Präsentation des Stresstests schlägt Schlichter Geißler eine Mischung aus Kopf- und Tiefbahnhof vor. Gegner und Befürworter liefen sich einen Schlagabtausch

„Keine Kleinigkeiten, sondern schwerwiegende Mängel“

BORIS PALMER, GRÜNE

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler hat überraschend einen weitreichenden Kompromiss im Streit über den Tiefbahnhof vorgeschlagen. Geißler regte am Freitag im Stuttgarter Rathaus an, den Fernverkehr über die geplante Durchgangsstation und den Nahverkehr über einen verkleinerten Kopfbahnhof laufen zu lassen. Das Papier, das er gemeinsam mit dem Verkehrsberatungsbüro SMA erarbeitet hat, trägt den Titel: „Frieden in Stuttgart“.

Zuvor hatten sich Projektgegner und die Deutsche Bahn einen intensiven Schlagabtausch geliefert. Allen voran der Grünen-Politiker und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf der einen Seite und der Deutsche-Bahn-Vorstand Volker Kefer auf der anderen Seite.

Vor laufender Kamera wurde der Stresstest diskutiert, den die Bahn über die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs erstellt hatte. Er war Teil des Schlichterspruchs, auf den sich Gegner und Befürworter unter der Moderation von Heiner Geißler Ende 2010 geeinigt hatten. Mit dem Test sollte die Deutsche Bahn nachweisen, dass der neue Durchgangsbahnhof in der Spitzenstunde zwischen 7 und 8 Uhr 30 Prozent mehr Züge abwickeln kann als der jetzige Kopfbahnhof. Begutachtet wurde der Stresstest von der Schweizer Firma SMA.

Die Vertreter der neuen grün-roten Landesregierung hielten sich bei der Auseinandersetzung weitgehend zurück. Dies dürfte vor allem an inhaltlichen Differenzen liegen. Während die Grünen S 21 entschieden ablehnen, befürwortet die SPD den Tiefbahnhof mehrheitlich. Dagegen versuchte Palmer im Namen des Aktionsbündnisses den Stresstest auseinanderzupflücken.

Für S-Bahnen seien zu kurze Haltezeiten angenommen, IC-Züge seien komplett gestrichen worden, weil sie für eine Doppelbelegung der Gleise zu lang seien, weitere Züge würden unregelmäßig fahren, Weichen seien in falschen Abständen geplant.

Bahn-Vorstand Kefer wies die Kritik entschieden zurück. „Hier werden reihenweise Falschbehauptungen aufgestellt“, sagte Kefer. Die Kritik sei unseriös.

Palmer jedoch bestand darauf, dass alle von ihm zitierten Anmerkungen im SMA-Gutachten stünden. SMA-Geschäftsführer Werner Stohler hatte diese als Kleinigkeiten bezeichnet. „Es sind keine Kleinigkeiten, sondern zahlreiche und damit in der Summe schwerwiegende Mängel“, sagte Palmer.

Begleitet wurde die Veranstaltung permanent von Pfiffen und Applaus, die vom Stuttgarter Marktplatz ins Rathaus drangen. Dort hatten die Projektgegner ein Public Viewing organisiert und ihrer Wut Luft gemacht.

Dissens bestand auch am Freitag vor allem in der Frage, welche Betriebsqualität der neue Bahnhof bietet. Im Schlichterspruch war eine „gute Betriebsqualität“ vereinbart worden. Laut Bahn gebe es diese Begrifflichkeit nicht, sondern nur „wirtschaftlich optimal“ und „Premiumqualität“. SMA bescheinigte dem Tiefbahnhof eine „wirtschaftlich optimale“ Betriebsqualität. Diese steht jedoch laut Bahn-Richtlinie dafür, dass Verspätungen lediglich beibehalten oder weiter aufgebaut würden.

Die Projektgegner bezogen sich auf eine ältere Richtlinie, der zufolge „gut“ für einen Betrieb stehe, der Verspätungen abbauen kann. Auch der grüne Teil der Landesregierung hatte im Vorfeld der öffentlichen Debatte unterstrichen, dass ihm die im Stresstest bescheinigte Qualität nicht reiche.

■  Die Diskussion dauerte bei Redaktionsschluss der taz noch an. Einen Bericht mit dem Ergebnis der Veranstaltung finden Sie im Internet auf taz.de