„Wer möchte Weltverschlechterer sein?“

Sonia Mikich glaubt an unangepassten Journalismus: Es wird auch in Zukunft neben der Unterhaltungsmasse Menschen geben, die Hintergründe kennen wollen. Nur: Gute bundesweite Berichte können nur mit RedakteurInnen vor Ort gelingen, sagt die Moderatorin von Monitor

INTERVIEW ANNIKA JOERES
UND NATALIE WIESMANN

taz: Frau Mikich, sind Sie eine Weltverbesserin?

Sonia Mikich: Ja. Das klingt erst einmal uralt und naiv und das bin ich natürlich nicht – aber ich denke, die Dinge sind nicht gut genug und können darum besser gemacht werden. Auch durch den kritischen Journalismus. Er kann Optionen aufzeigen, Alternativen.

Dann sind Sie auch Optimistin. Immerhin fristet der kritische Journalismus in den Medien doch ein Schattendasein.

Das bezweifle ich. Es hat immer schon den Mainstream gegeben, aber der kritische Journalismus hat seinen festen Platz. Es gab und gibt immer eine relevante Anzahl von Leuten, die Hintergründe erfahren wollen. Die kritische Fragen hören wollen. Sie möchten wissen, wer die Menschen im Lande was glauben machen will und warum. Wir werden es nie leicht haben, aber dieser Journalismus wird immer nötig sein.

Dieser Stamm von kritischen LeserInnen oder ZuschauerInnen ist doch aber verhältnismäßig klein.

Wir haben in den letzten Jahren zuverlässig drei bis dreieinhalb Millionen Zuschauer je Sendung. Das ist mehr als manche Unterhaltungssendung. Die Menschen suchen Aufklärung und eine kritische Grundhaltung.

Trotzdem wurde Ihre Sendung auf eine halbe Stunde zusammen gekürzt.

Das ist reine Programmpolitik, die Kürzung sollte unter anderem die Tagesthemen früher anfangen lassen und somit stabilisieren. Allerdings: Kritischer Journalismus erlebt auch Konjunkturen, denen man als Programmplaner nicht erliegen darf. Es gibt immer Zeiten, in denen er einfach schlecht geredet wird, die Zahlen ‚runtergedeutet‘ werden. Da wird zum Beispiel getönt, der Marktanteil von Politmagazinen sei im Vergleich zu den goldenen 80er Jahren stark gesunken. Das stimmt, gewiss. Allerdings hatten die Öffentlich-Rechtlichen früher kaum Konkurrenz – und das wird nicht gesagt. Und so entsteht ein Mantra: Das kritische Projekt sei in der Krise, der Zuschauer brauche dieses Genre nicht mehr. Einer sagt‘ s, die anderen schreiben ab und plappern nach. Das ist unredlich. Es gibt keine Krise. Wir machen Schlagzeilen, enthüllen etwas, wir konfrontieren die politische und wirtschaftliche Elite. Nicht mehr und nicht weniger. Die Informationsangebote vermehren sich inflationär, in dieser Flut brauchen wir Felsen – wie den kritischen, investigativen, nachhaltigen Journalismus.

Monitor leidet doch wie die taz darunter, nur wenige junge Interessenten zu finden.

Wir leiden in Maßen – und suchen lieber Stoffe, die junge Menschen interessieren. Die platte Unterscheidung zwischen alten und jungen Zuschauern ist andererseits auch überholt. Denn die großen politischen Themen interessieren die jungen Menschen gleichermaßen.

Was sind denn für Sie die großen politischen Themen, die vernachlässigt werden?

Klassiker wie die Ökologie. Monitor hat schon zu Anfang des Jahres über den Klimawandel berichtet – lange vor dem offiziellen UN-Klimabericht. Wir berichten über den Kriegseinsatz in Afghanistan, wir machen Filmessays zum Thema Demokratie oder Gerechtigkeit: Wir zeigen Fälle von Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzung.

Das sind auch die klassischen Themen der taz nrw. Uns wurde mehrfach vorgeworfen, „altsozial“ zu sein.

Das ist doch ein dummes Totschlagargument. Ganz einfach. Damit werden Leute vom Nachdenken abgehalten: es sei nicht mehr so en vogue, sich zu bekennen. Die Antwort kann aber nur lauten: Wer möchte schon ein Weltverschlechterer sein?

Sie haben mal in einem Interview gesagt, ihre Redaktionsarbeit unterliege einer „permanenten Revolution“.

Das war eine Replik darauf, dass die politischen Magazine berechenbar, statisch seien. Natürlich wird unser Spektrum erweitert. Typisch ist da ein Bericht über Depressionen als Massenphänomen in Zusammenhang mit Hartz IV. ‚Klassiker‘ wie die innere Sicherheit bewegen uns natürlich, aber wir haben einen ganz anderen Blick darauf als vor zwanzig Jahren. Über die Schere zwischen Arm und Reich müssen wir ebenfalls viel differenzierter berichten als früher. Die Globalisierung und ihre Folgen muss sehr genau in ihrer Komplexität dargestellt werden. Schwarz-Weiß gilt nicht mehr. Was Monitor nicht anpeilt – nach wie vor – sind Boulevardthemen und Servicethemen.

Die neue WDR-Sendung „Echtzeit“ will ganz auf Politiker verzichten, weil sie nur Worthülsen von sich gäben.

„Du kannst nicht von einer Zentrale aus der Vogelperspektive eine Zeitung anbieten. Gerade Deutschland wird interessant von einem föderalen Blickwinkel aus betrachtet.“

Echtzeit ist an der Lebenswirklichkeit von jungen Leuten dran und die langweilen sich häufig bei Politikern und Experten. Echtzeit ist aber ein ganz anderes Genre als Monitor. Wir werden auf Konfrontationen mit Entscheidungsträgern nicht verzichten und suchen gerne verständliche Experten, die ein Thema vertiefen. Für Zuschauer kann auch der Subtext sehr spannend sein: Dieser Politiker lügt. Oder er klärt auf. Oder sogar: Er hat Recht.

Die taz in NRW blitzt – wie Monitor – bei Anfragen ab. NRW-Sozialminister Laumann weigert sich seit knapp zwei Jahren, ein Interview zu geben.

Ich würde bei vielen Politikern gerne ein Icon auf dem Schirm platzieren, auf dem würde stehen: „Sie wissen schon, er oder sie hat mal wieder eine Stellungnahme abgelehnt.“ Wir kriegen bei jeder Sendung Ablehnung zuhauf.

Mit welcher Begründung?

Unterschiedlich. Angeblich Terminschwierigkeiten. Oder eine schriftliche, nichts sagende Erklärung. Oder unsere Anfrage wird einfach ausgesessen, ohne Reaktion. Komischerweise haben viele Politiker im Medienumgang nichts dazu gelernt. Als zum Beispiel die Grünen an die Regierung kamen, ging dasselbe Spielchen los. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie zum Beispiel den bayrischen Innenminister Günther Beckstein. Der stellt sich immer zur Rede, obwohl er in unseren Beiträgen oft nicht gut wegkommt. Wer sich nicht traut zu argumentieren, hat verloren ...und duckt sich darum immer wieder.

Wie sehen Sie den kritischen Journalismus in der Zukunft? Wird er im Internet stattfinden?

Fernsehen und auch Zeitungen werden ein Anker sein. Wenn ich anfange, in diese Blog-Welt, bei diesen so genannten Leser-Reportern des Web einzutauchen, dann stoße ich auf sehr viel Murks und irrelevantes Zeug. Ich brauche zwei, drei Adressen, denen ich vertrauen kann. Das ist wie bei schlechten Fernsehsendungen: Die Angst- und Zerstreuungsthemen überwiegen. Die Zukunft? Es wird eine Infoelite geben und eine Unterhaltungsmasse. Das ist nicht gut und deswegen bin ich froh, wenn ich eine handfeste Nachrichtensendung habe, einen handfesten Artikel. Sich im Internet eine Zeitung zusammen zu stellen ist Arbeit. Dafür brauche ich Vorwissen. Eine gedruckte Zeitung gibt mir Orientierung.

Viele Zeitungen, nicht nur die taz bundesweit, kämpfen gegen eine sinkende Auflage.

Aber trotzdem sind die Horrorszenarien nicht eingetroffen, dass Zeitungen komplett aussterben.

Das wurde ja auch schon dem Radio prophezeit, als das Fernsehen erfunden wurde.

Genau. Trotzdem muss Monitor neu überlegen, welche interaktiven Möglichkeiten wir im Netz anbieten können. Die Plattformen werden sich vielleicht verändern, nicht aber die Inhalte.

Politsendungen sind immer vorne bei Themen wie dem Klimawandel, bei Hartz IV, Irakkrieg. Die taz hat überlebt, weil ihr die Tschernobylkatastrophe viele LeserInnen gebracht hat. Sind wir Kriegsgewinnler?

Die WDR-Journalistin Sonia Mikich (55) leitet und moderiert eines der kritischsten Politmagazine im deutschen Fernsehen – die verfilmte taz: Monitor berichtet aus der Neonaziszene, über gebrochene Versprechen der G8-Gipfel und das lukrative Geschäft mit Import-Müll. Zuvor leitete die in London geborene Soziologin das ARD-Studio in Paris. Als erste verschaffte Mikich den Regionen im zentralistischen Frankreich mehr Raum. Preise erhielt sie etwa für ihre Berichterstattung aus Afghanistan und Tschetschenien sowie über den mysteriösen Tod eines Asylbewerbers.

Ja, aber gerade gesellschaftliche Krisen brauchen kritischen Journalismus. Wir lösen sie ja nicht aus. Wenn sie positive Berichte machen wollen, müssen Sie zu Gala gehen.

Gala verkauft sich gut. Die taz nrw kämpft um jedes Abonnement, auch Sie werden immer auf die Quote gucken müssen – wie aussagekräftig sind solche Zahlen?

Natürlich müssen wir darauf achten, aber mit einem sehr langen Atem. Mal ein Vierteljahr Abonnentenschwund oder ein paar Monate niedrigere Quote sagen nichts aus. In den ersten Jahren von Monitor war ich fürchterlich aufgeregt, wenn eine Sendung zahlenschwach war. Jetzt weiß ich: Im Fernsehen gibt es sehr sehr viele Zufälle, warum eine Sendung gut angenommen wird oder nicht. Das Vor- und Gegenprogramm sind ungemein wichtig. Aber auch die aktuellen „Aufreger“, über die die Leute gerade sprechen. Sie von der taz werden wahrscheinlich bessere Chancen haben, wenn es hier in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wieder einen großen Müllskandal gibt oder eine Korruptionsgeschichte.

Wenn Berlin die taz nrw schließt, fehlt dann auch der lange Atem?

Ja. Eine bürgernahe Zeitung muss wie eine gute Sendung „on the ground“ sein. Sie kann nicht von der Zentrale aus verwaltet werden. Die Mitarbeiter müssen vor Ort angedockt sein um guten Journalismus zu machen. Sie müssen sich in einem Umfeld bewegen, wo sie bekannt sind und aber auch die Täter und Opfer kennen. So etwas baut man über Jahre oder sogar Jahrzehnte auf. Guter, kritischer Journalismus vor Ort ist genauso wichtig wie nationale Berichterstattung. Wie oft wir von Monitor Impulse aus lokalen Geschichten erhalten – das ist enorm. Alle brauchen den Kontakt zu toughen Kollegen vor Ort, sonst entstehen Kopfgeburten. Kritischer Journalismus fängt von unten an. Wenn da gekappt wird, ist das schlecht für alle.

Sie haben auch zu ihrer Zeit als Frankreichkorrespondentin der ARD mehr Berichte aus den Regionen gebracht und weniger aus Paris. Sollten Deutschlands Medien auch weniger aus Berlin und mehr aus den Ländern berichten?

Du kannst nicht von einer Zentrale aus ausschließlich einen Adlerblick anbieten. Paris reicht einfach nicht, um Frankreich zu verstehen. Und gerade Deutschland wird interessant von einem föderalen Blickwinkel aus betrachtet. Das Problem ist, dass Zentralen immer überschätzt werden. Die kritischen lokalen Journalisten können kaum von ihrer Arbeit leben.