An den Rändern einer Landschaft

Joachim Brohm war einer der ersten, der die amerikanische Autoren-Farbfotografie der späten 1970er Jahre nachvollzog und weiterentwickelte. Für seine Ausstellung im Bottroper Josef Albers Museum sichtete der Fotograf sein altes „Ruhr“-Archiv

AUS BOTTROP KATJA BEHRENS

Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist offenbar nicht nur Thema von Politik und Wirtschaft, sondern auch ein Motiv der Kunst. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren hat der junge Fotograf Joachim Brohm (geboren 1955 in Dülken am Niederrhein) zwischen Essen und Hattingen Uferlandschaften und Straßenecken, öffentliche Schwimmbäder, Gewerbegebiete, ein Picknick im Park und alle anderen möglichen Unorte im urbanen Niemandsland fotografiert.

Entgegen der damals vorherrschenden Technik-Tendenz wurde alles mit einer leichten 6x7 Mittelformatkamera (Plaubel Makina) in Farbe abgelichtet. Trotz der Farbe aber sehen die Gegenden, die Brohm immer wieder aufsuchte, meist blass und manchmal regelrecht dunstig aus. Das Wasser ist pastellgrau wie der ausgeblichene Himmel über dem Revier. Farbe wurde in dieser Zeit allenfalls in der Werbefotografie benutzt, Kunstfotografie war Schwarz-Weiß.

Nun sind es die Randgebiete des Ruhrgebiets, die in gedämpfter Farbigkeit und beinah flüsternd ihre unspektakulären Geschichten erzählen. Menschen tauchen in den Bildern Brohms nie als Hauptpersonen auf, sondern sind Staffage und allenfalls modellhafte Akteure. Das Bildzentrum ist überall und nirgends, hier herrscht eine demokratische Gleich-Gültigkeit, die das traditionelle komponierte Tafelbild in Frage stellt und mit dieser Bildstruktur die Hierarchie, die es verkörpert. Diese offene Komposition war, ebenso wie das beiläufig dokumentierte banale Sujet eine Provokation. „Mein Bild entsteht im Moment des Fotografierens“, erläutert der Fotograf seine Arbeitsweise und beschreibt damit gleichzeitig die Distanz zur aktuellen Fotografiepraxis. Selbstverständlich auch, dass er seine Bilder nicht beschneidet oder bearbeitet.

Damals, als er diese Fotos machte, studierte Brohm noch in Essen. Niemand konnte mit seinen Bildern dort etwas anfangen, keiner verstand, was er tat. Das bestärkte und bestätigte ihn, wie er heute weiß. Obschon die Landschaftsporträts inzwischen längst auch historische Dokumente einer sich wandelnden Region sind, wirken sie glücklicherweise nicht sentimental. Damals verschwanden die Negative für gut zwanzig Jahre im Archiv. Erst jüngst hat der Fotograf sie wieder ausgegraben, Abzüge gemacht und seinen großen Bilderblock „Ruhr“ im Bottroper Josef Albers Museum ausgestellt.

Dass der Fotograf von der in jenen Jahren in Europa wenig bekannten amerikanischen Fotografie fasziniert war, dass er die Bedeutung der seit den 1960er Jahren dort entwickelten fotografischen Bildsprache erkannte und adaptierte, lässt sich an den Bildern, die seit den 1970er Jahren an den Straßen und Landschaftsrändern entlang der Ruhr entstehen, unschwer erkennen. Ebenso sichtbar ist, dass er die Bilder der großen amerikanischen Fotopioniere Walker Evans und Robert Frank und der nachfolgenden Fotografengeneration mit Lee Friedländer und Garry Winogrand studierte. Die Bildsprache, die Robert Adams, William Eggelston und Stephen Shore parallel zu Pop Art und Minimal Art in ihren fotografischen Bildern verarbeiten, übersetzte Brohm gewissermaßen ins Deutsche. Charakteristisch für den neuen Stil und die neue Auffassung des Fotografischen etwa ist die Ästhetik des Amateurhaften, des Dokumentarischen der journalistischen Fotografie in Opposition zur heroischen Landschaftsdarstellung des 19. Jahrhunderts. Die Bilder, die er im Ruhrgebiet findet, sind asphaltierte Flächen und ausgetretene Wege entlang der Neubausiedlungen, sind Imbissbuden, Baugruben, Freibäder und Brücken, sind Abwasserrohre am Flussufer, Schlittschuhläufer und die sonntäglichen Ausflügler am Kemnader See in Bochum. Inzwischen hat Joachim Brohm den im Ruhrgebiet geschulten „amerikanischen Blick“ rückübersetzt. Demnächst erscheint sein Buch „Ohio“, in dem Fotografien veröffentlicht werden, die in den USA entstanden sind.

Bis 12. August 2007