Flugticket im Landkarten-Etui

KUNSTHANDWERK Die Hamburgerin Anna-Katherina Cieplik beklebt Alben, Etuis, Ordner mit alten Land-, Städte- und Mondkarten. Dabei ist ihr nicht wichtig, dass man alles exakt erkennt, sondern die Ästhetik. Für ihre Kunden zählt oft beides

VON SEBASTIAN SCHULTEN

Die giftgrüne Prägemaschine, breit wie ein Mann, reicht einem bis zur Brust. Sie läuft schon mal heiß, während Anna-Katherina Cieplik im Nebenraum das Fotoalbum herstellt, auf dem später der Schriftzug „Für Papa“ zu lesen sein wird.

In Ciepliks Arbeitsräumen im Hamburger Stadtteil Lokstedt hängen jede Menge frisch geleimte Bücher und Alben zum Trocknen auf der Leine. Je nach Material verwendet sie einen schneller oder langsamer trocknenden Leim. „Es soll ja auch halten“, sagt Anna-Katherina Cieplik. „Es ist schön, wenn Leute zu mir kommen und sagen, dass sie vor fünf Jahren etwas gekauft haben und es immer noch toll aussieht.“ Geschäftsfördernd sei das nicht, „aber es gibt mir ein gutes Gefühl“, sagt die gelernte Typografin lachend.

Ihre Bekannten gewöhnten sich schwer an den Namen

„Manos Verdes“ (Grüne Hände) heißt die Manufaktur, mit der sich Anna-Katherina Cieplik vor fünf Jahren selbstständig gemacht hat. Der Name sei programmatisch: „Ich arbeite mit den Händen, und farbtypologisch steht Grün für Kreativität“, sagt die gebürtige Hamburgerin. Obwohl der spanische Name eher wie der einer Gärtnerei klinge. „Viele meiner Bekannten konnten sich damit nicht anfreunden, aber ich habe mich daran gewöhnt.“ Ihr Faible fürs Spanische hat einen sehr konkreten Grund: Als Studentin hat Cieplik ein Jahr in Spanien verbracht.

Auf die Geschäftsidee für „Manos Verdes“ kam sie durch ihren Vater, der vor Jahren einen Schulkeller entrümpelte. Als Tochter Anna-Katherina Cieplik sah, wie viele Karten des Geografie- und Biologieunterrichts vernichtet werden sollten, musste sie einfach einschreiten. Diese schönen Dinge durften nicht ohne Weiteres weggeworfen werden, fand sie. „Ich selber halte gerne Karten zum Navigieren in der Hand“, erzählt die Kunsthandwerkerin. „Über einen Bildschirm zu wischen ist nicht dasselbe, wie eine Karte in der Hand zu halten.“ In diesem Punkt sei sie wirklich nostalgisch. „Ich mag es, wenn die Seiten knistern.“

Werkstatt in einem ehemaligen Pferdestall

Mit ihrer heutigen Werkstatt residiert sie in einem alten Pferdestall inmitten einer Schrebergartenkolonie. Außerdem haben sich ein Tischler, ein Architekt, eine Schreibwerkstatt und ein Musikboxen-Hersteller auf dem Grundstück niedergelassen. Das ganze Gelände in Hamburg-Lokstedt ist heute eine Art Gewerbehof.

In Anna-Katherina Ciepliks Werkstatt ist „die Präge“, wie sie die Maschine liebevoll nennt, inzwischen heiß genug, um das Fotoalbum zu beschriften. Sie legt einen Bleibuchstaben nach dem anderen auf einen Holzrahmen, der ein bisschen an die Buchstabenablage des guten alten „Scrabble“-Spiels erinnert. Dann setzt sie die Bleilettern in die Maschine.

An diese „altertümlichen“ Bleibuchstaben zu kommen, war übrigens nicht so einfach: Immer wieder hat sie in den 1980er-Jahren Verlage kontaktiert, die damals gerade vom Blei- auf den digitalen Schriftsatz umstellten. Hat sie überredet, ihr die alten Lettern zu überlassen. Mit Erfolg: Inzwischen ist der Fundus groß, und wie viele verschiedene Schriften sie hat, kann sie nur überschlagen.

Sitzen die Buchstaben, wird der Schriftzug durch eine Hebelbewegung auf den Deckel des Buches gedrückt, das sie vor der Maschine befestigt hat. Um sicher zu gehen, dass alles korrekt geschrieben ist, macht Cieplik erstmal eine Probeprägung. Ist alles korrekt, wiederholt sie das Ganze mit Farbe. Fertig!

Aber sie macht natürlich nicht nur Alben: Auf Wunsch gestaltet Cieplik auch Schmuckkästchen, Geschenkkartons, Etuis, Glückwunschkarten oder Einladungen. Ihre Kunden können dabei aus 70 Farben und verschiedenen Materialien wählen.

Kundenwünsche sind saisonabhängig

Welche Produkte die Kunden bestellen, ist saison-, alters- und geschlechtsabhängig. Im Sommer zum Beispiel heiraten mehr Menschen als im Winter. Dann bestellen die Leute Fotoalben, Einladungen und Dankeskarten. Und zu Weihnachten verschenken sie Etuis, Schmuckkästchen oder andere liebevoll gefertigte Handarbeiten. Manch einer beschenkt sich mit Anna-Katherina Ciepliks schönen Dingen auch einfach selbst.

Einige dieser kleinen Kunstwerke hat sie auch mit Landkarten oder Stadtplänen beklebt. Manche Kunden wünschen sich für ihre Schachtel oder ihr Album auch ein bestimmtes Land, eine spezielle Stadt, und legen dann zum Beispiel ein Flugticket als Geschenk hinein. Für andere erinnert ein Album mit Landkarten-Einband an den letzten Urlaub. In der Tat wecken Anna-Katherina Ciepliks Produkte spontan Reiselust.

Ästhetik der Landkarten rangiert vor Erkennbarkeit

Dabei findet sie selbst es gar nicht wichtig, dass man Städte oder Landstriche genau erkennt. Ihr ist viel wichtiger, dass es ästhetisch aussieht. Künstlerisch. Und dass sie ganz konkret Dinge bewahrt, die anderswo längst aussortiert wurden.

Das hat sich herumgesprochen, und deshalb wächst ihr Fundus an Land-, See- und Mondkarten seit Jahren stetig. „Ich bekomme Anrufe von Lehrern, die mir ausrangierte Karten aus dem Unterricht geben, statt sie wegzuwerfen. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Cieplik. „So bekomme ich immer wieder neues Material.“

Während man plaudert, hält ein DHL-Lieferwagen vor dem Grundstück. Der will sicher Kundenbestellungen abholen, denkt man. Aber nein, der Paketdienst ist nicht zu Ciepliks Manufaktur gekommen. „Damit ein Paketdienst die Ware bei mir abholt, muss ich 40 bis 50 Sendungen im Monat verschicken“, sagt sie. Zu Weihnachten kommt das sogar hin, aber in anderen Monaten ist es deutlich weniger. Also trage ich meine Pakete noch selbst zur Post“, sagt die Geschäftsführerin der „Grünen Hände“.

Ganz nebenbei fällt der Blick auf die vielen kleinen Bügeleisen, die in Ciepliks Werkstatt auf Büchern, Alben und Landkarten liegen. „Sie dienen als Gewichte“, sagt sie. „Wenn das Material durch den Leim noch feucht ist, können sich Wellen auf dem Papier bilden, und das will ich verhindern“, sagt Cieplik. Normalerweise verwende sie dafür die Stockpresse, aber nicht für kleinere Karten. „Da brauche ich meine Bügeleisen.“

Derweil steigt in der Werkstatt der Geräuschpegel. Es hört sich an, als würde eine Horde Sextaner das Grundstück zum Schulhof machen. Tatsächlich stürmt eine Handvoll Kinder ins Nebenzimmer, die nach dem Unterricht basteln wollen. Bevor sie ihre Firma 2009 gründete, hat sie die Kinder noch selbst unterrichtet. Jetzt tut das ihre Nachbarin und Arbeitskollegin Dagmar Grabbert.

Teebeutel als Eintrittskarte zum Kinderbasteln

Allerdings nicht umsonst: Auf einem Regal in der Werkstatt lagert ein Berg verschiedener Teesorten. „Den bringen die Kinder als Eintritt mit. Dafür, dass sie kommen und für die Weihnachtszeit Geschenke basteln dürfen“, erklärt Cieplik. Und ihre Wohnung, strotzt die vor beklebten Landkarten, Kartons, Etuis? „Nein“, sagt Cieplik. „Wenn ich einen Aktenordner brauche, kaufe ich ihn. Den bastle ich nicht extra. Dafür habe ich gar keine Zeit.“

www.manos-verdes.de