Böse Wetten, gutes Lotto

Politik per Zufallsprinzip: Das NRW-Kabinett beschließt Änderungen am Glücksspielstaatsvertrag. Private Sportwetten sind streng verboten. Das Lotto wird dagegen auf Druck der FDP liberalisiert

Dem Staat droht eine Klagewelle von Glücksspielfirmen, falls der Vertrag in Kraft tritt – und Ärger mit der EU.

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Sie gehören zum Straßenbild vieler Großstädte wie Handyshops und Internetcafés – die Wettbüros. Doch die Buchmacher sind nervös. „Wir sind kein Wettbüro, wir sind eine Lottoannahmestelle“, sagt A., der Inhaber eines Ladengeschäfts für Sportwetten in der Kölner Innenstadt. „Was wir machen, ist völlig legal.“ A. ist Deutsch-Türke, wie die meisten der 800 privaten Wettanbieter in NRW ist er Migrant. Die Unternehmer aus den Multikulti-Vierteln haben Angst. Seit Jahren werden sie vom Staat in die Illegalität getrieben. Geht es nach den Ministerpräsidenten, dann werden 2008 alle privaten Wettbüros endgültig geschlossen.

Heute entscheidet das NRW-Kabinett über das so genannte Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag. Mit dem Wortungetüm will CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Die Karlsruher Richter hatten das seit 1949 bestehende staatliche Wettmonopol in einem Grundsatzurteil für zulässig erklärt – allerdings nur, wenn der Staat das Glücksspiel stärker reguliert und mehr zur Bekämpfung der Spielsucht beiträgt. Zur Eindämmung der Suchtgefahren wird die Werbung für Lotterien und Sportwetten untersagt. Bis auf den Baden-Württemberger Günther Oettinger und den Schleswig-Holsteiner Peter Harry Carstensen (beide CDU) haben alle Landeschefs unterschrieben.

Während die Unterschrift von Oettinger als sicher gilt, hat sich Carstensen in den vergangenen Monaten als Schutzpatron der Wettfreunde hervorgetan. Carstensens CDU-Landtagsfraktion organisiert derzeit in formellen und informellen Runden den Widerstand in den deutschen Länderparlamenten, die den Staatsvertrag nach der Sommerpause ratifizieren sollen. „Die Zweifel wachsen überall“, heißt es bei der CDU in Kiel. Angeblich soll sogar SPD-Chef Kurt Beck angeboten haben, die Zustimmung seines Landes Rheinland-Pfalz im Fall eines Neins aus Schleswig-Holstein zu widerrufen. „Die Position der Länder ist klar. Sie stehen zum Staatsvertrag“, sagt hingegen ein NRW-Regierungssprecher. Die Zustimmung des Landtages gilt als sicher.

Für Ärger sorgen dennoch die Widersprüche und Ausnahmen beim Glücksspiel-Staatsvertrag: Private Fußballwetten sind verboten – Pferdewetten nicht. Große Wettfirmen wie „Bwin“ dürfen nicht mehr im Fernsehen Reklame machen, die Ziehung der Lottozahlen wird es dagegen weiterhin geben. Und auch Lotterien wie „Aktion Mensch“ oder „Die Goldene Eins“ dürfen das Fernsehen nutzen. Glücksspiel im Internet gilt als illegal – ausgenommen davon sind aber die Angebote von Lotto-Toto sowie das Internet-Spiel der öffentlichen Spielbanken und die Online-Tippscheine der staatlichen Fußballwette Oddset.

Dem Staat droht eine Schadenersatz-Klagewelle von Glücksspielfirmen, falls der Vertrag in Kraft tritt. Andere wollen vom Ausland Internetseiten betreiben, um den deutschen Staatsvertrag auszuhebeln. Eine „völlig unverhältnismäßige Beschränkung der Grundrechte“ sieht der Münsteraner Juraprofessor Bodo Pieroth in dem Vertragswerk. Er hat im Auftrag des Bochumer Systemlottovermittlers Norman Faber eines von zahlreichen Rechtsgutachten erstellt, mit denen die private Glücksspielindustrie gegen den drohenden Ruin kämpft. Zumindest im Fall Faber scheint die Lobbyarbeit per Gutachten, Zeitungsanzeigen und Postwurfsendungen Erfolg gehabt zu haben: Aus NRW-Regierungskreisen heißt es, dass in das Landesgesetz Ausnahmen für private Lottovermittler aufgenommen werden sollen.

Ungehalten wegen der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist vor allem die EU-Kommission. Vier Warnbriefe haben die Brüsseler Beamten bereits an die Bundesrepublik geschrieben. Bis Mitte Juli muss Berlin Stellung nehmen, um ein Verletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen den EG-Gemeinschaftsvertrag zu verhindern. Und auch die Sportverbände zweifeln am Vertrag: Sie fürchten um die rund vier Milliarden Euro, die bislang aus den Lotto- und Glücksspielabgaben an soziale und kulturelle Einrichtungen sowie an die Sportverbände fließen. „Der Glücksspielstaatsvertrag wird nicht nur die privaten Sportwetten verbieten, sondern auch die gemeinnützigen Einnahmen aus Oddset und Lotto gefährden“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert.

Nun ist ein „Konzessionsmodell“ als Kompromissvorschlag im Gespräch. Nach dem Vorbild europäischer Staaten wie Italien und England soll der Markt unter staatlicher Kontrolle geöffnet und Lizenzen an Wettanbieter vergeben werden, die ihrerseits Abgaben für soziale Zwecke abführen müssten. Im Wachstumsmarkt Sportwetten könnten so Milliardensummen für den Staat herausspringen.

Suchtexperten hätten es hingegen am liebsten, wenn sowohl staatliches als auch privates Zocken verboten und Deutschland zur Glücksspielfreien Zone erklärt würde. Den Staatsvertrag halten sie für einen Ausdruck von Doppelmoral: „An erster Stelle bei den süchtig machenden Glücksspielen rangieren die völlig legalen Münz-Automaten“, sagt Verena Verhoeven von der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas. Und neben den „einarmigen Banditen“ sei eine gefährliche Einstiegsdroge die staatliche Fußballwette Oddset.