Maria, die saftigste Tomate

Sie setzte sich gegen soziales Unrecht und gegen den Vietnamkrieg ein. Das Museum Ludwig zeigt druckgraphische Arbeiten der US-amerikanischen Nonne, Künstlerin und Aktivistin Sister Corita

VON KATJA BEHRENS

Der konservative Erzbischof von Los Angeles hatte wegen der progressiven Auslegung des vatikanischen Konzils von 1962 zur „Erneuerung des religiösen Lebens“ dem Orden „Immaculate Heart of Mary“ (IHM) Ende der 1960er Jahre die Lehrerlaubnis entzogen. An der Popularität der Nonnen aber änderte das nichts. Hatte sich doch längst so etwas wie ein Kult um die kunstschaffende und rebellische Nonne Sister Mary Corita (1918-1986) und ihre Ordensschwestern gebildet. Von 1964 bis zu ihrem Austritt aus dem Orden 1968 stand Corita dem Art Departement des Immaculate Heart College (IHC) vor. Als Lehrerin und Kämpferin für soziale Gerechtigkeit wurde sie verehrt. Ihr Klassenraum war ein Ort des interdisziplinären Austauschs und für ihre ausgefeilte Siebdrucktechnik war sie nicht nur in Künstlerkreisen berühmt. Sie hatte unzählige Ausstellungen und hielt Vorträge im ganzen Land. In Europa allerdings wurde ihr Werk erst vor einigen Jahren entdeckt.

Frances Elizabeth Kent wurde 1918 in Iowa als fünftes von sechs Kindern geboren. Mit ihrer irisch-katholischen Familie siedelte sie nach Los Angeles über, wo sie nach Beendigung der Highschool in den Orden Immaculate Heart of Mary eintrat und den Namen Sister Mary Corita annahm. Von ihrer Biographin Julie Ault in Zusammenarbeit mit Nina Gülicher kuratiert zeigt jetzt als erste und einzige Station in Deutschland das Kölner Museum Ludwig einen Ausschnitt ihres Werkes. Etwa 40 Siebdrucke aus den 1960er Jahre lassen ihre künstlerische Entwicklung und die fröhliche Subversion selbst in der Hängung nachempfinden. Zwischen den Pop Art-Werken im Untergeschoss der Sammlung hängen auch historische an dem Ort, der ihnen gebührt.

Die kreative Ordensfrau fertigte ganze Serien von Siebdrucken an, gestaltete Plakate und Newsletter und demonstrierte auf der Straße. Sie wollte, das hat sie immer wieder betont, möglichst viele Menschen erreichen. Und obschon sie sich nicht explizit als Künstlerin im weltlichen Sinne verstand, lassen die Arbeiten immer deutlicher ihre Inspirationsquellen und die zeitgenössischen Kunstdiskurse erkennen. Dabei scheute sie sich nicht, die bunte Ästhetik der Pop Art mit politischen und religiösen Inhalten zu füllen, den Leib Christi etwa in einem Toastbrot zu finden oder Maria als „the juiciest tomato“ zu bezeichnen. Sister Corita betrachtete die druckgraphische Herstellung ihrer Bilder „as a very democratic form, since it enables me to produce a quantity of original art for those who cannot afford to purchase high-priced art.“ Zumindest in dieser Hinsicht passt die Ausstellung dann doch vielleicht ganz gut zum Evangelischen Kirchentag. Im 16. Jahrhundert hatte schließlich die Revolutionierung des Druckwesens maßgeblich zur Verbreitung von Luthers Bibelübersetzung beigetragen.

Etwa um 1954 hatte sie begonnen, Worte in ihre Bilder einzufügen, die allmählich größer und größer und dann unlesbar zum Bildmuster wurden. Die anschwellenden, angeschnittenen Buchstaben sind ebenso wie die sich wandelnde Ikonographie dem wachsenden Interesse der Künstlerin an ihrer städtischen Umgebung und deren Zeichensystem geschuldet. Werbeslogans und Motive des Verpackungsdesigns werden zitiert, Farben und Ästhetik des kommerziellen Marktes und seiner Produkte angeeignet. Ihre Palette, die kulturellen Anspielungen und die Bildsprache werden – unübersehbar – in den 1960er Jahren immer mehr Pop. Typographische Formen werden ausgeschnitten, umgedreht und zu neuen Bildmustern zusammengesetzt. Die Künstlerin zitiert und kombiniert Elemente aus Songlyrik ebenso wie Ladenschilder. Dabei diente ihr die Fotografie als Möglichkeit, einen Ausschnitt der Wirklichkeit nach ästhetischen Kriterien auszuwählen und ihn in das Bild zu übertragen. Ihre bunten Text- und Bild- Assemblagen öffnen nicht nur einen neuen Blick auf die moderne Welt, sie gehören zu den gestalterischen Leitbildern der Graphik der 1960er Jahre. Ed Ruscha und Andy Warhol haben sichtlich ähnliche Referenzpunkte. Und Sister Mary Corita war offensichtlich nicht nur eine moderne, sondern auch eine fröhliche Nonne.

Bis 2.9.2007 Infos: 0221-22126165