Päckchen im Kiezservice

KUNDENDIENST Die Post bequem auch nach Büroschluss: dass die Berliner gleich an der nächsten Ecke ihre Pakete abgeben können, liegt an Menschen wie Alkan Özer. Der ist mit seinem Kiosk Partner einer Paketfirma – wie immer mehr Spätis, Tankstellen und Wäschereien

■ Die ersten Paketshops gab es in den 90er Jahren. Inzwischen hat DHL 340 Partnerfilialen, 620 Paketshops und über 120 Packstationen sowie 80 Paketboxen. Hermes hat stadtweit 700 Paketshops. In der Innenstadt ist der nächste Hermes-Shop durchschnittlich 250 Meter entfernt. GLS hat nach eigenen Angaben 250 Partnershops in Berlin, DPD knapp 100. Auch UPS, eigentlich im Segment der Geschäftskunden verwurzelt, hat angekündigt, mehr Paketshops zu eröffnen.

VON MORITZ FÖRSTER

Hinter den durchsichtigen Schiebetüren der Wandkühlschränke reihen sich die grünen und braunen Bier- und Limonadenflaschen wie Glassoldaten und harren auf ihren Einsatz. Im Zeitungsständer wartet ein Stadtmagazin auf Leserschaft, hinter der Theke lagern Tabakwaren. Wer Zigaretten kaufen möchte, der muss erst mal persönlich danach fragen. So wie es sich gehört. Der Friedrichshainer „Meet Kiosk“ in der Gabriel-Max-Straße in Sichtweite zum Boxhagener Platz ist einer dieser Berliner Spätshops, wie es sie zigfach in der Stadt gibt. Und wie in vielen anderen „Spätis“ können Berliner auch hier in dem Kiosk ihre Pakete abgeben.

Vor vier Jahren war der „Meet Kiosk“ sogar eine offizielle Postfiliale. Alkan Özer und seine zwei Mitarbeiter nahmen rund 50 Pakete täglich an, darunter auch Express- und Auslandssendungen. Zur Weihnachtszeit stapelten sich die Päckchen in dem drei Quadratmeter kleinen Lagerraum über Kopfhöhe, wenn nachmittags der Abholer kam. „Das war schon etwas verrückt“, sagt Özer, wenn er an seine Zeit als Post-Kiosk zurückdenkt.

Jetzt ist sein Späti wieder mehr Kiosk und weniger Post. Der Päckchen-Abholer zuckt nun nicht mehr schreckhaft zusammen, wenn er die Tür zum Lagerraum öffnet. „Früher hat der sich sogar beschwert, dass er so viel schleppen musste“, erzählt Özer. Heutzutage seien es nur noch um die 15 Pakete täglich, die im „Meet Kiosk“ lagern. Dafür muss der Abholer inzwischen alle paar Meter an einem anderen Laden halten, um dort weitere Päckchen einzusammeln. Auch gleich direkt gegenüber von Özers Laden auf der anderen Straßenseite weht seit kurzem ein zweites gelbes DHL-Fähnchen vor der Tür des Internetcafés und Späti-Konkurrenten „Aquarium Lounge“.

Neben dem Kerngeschäft

Nicht nur Spätshops, auch Wäschereien, Tankstellen und Videotheken sind Özers Beispiel gefolgt und bieten neben ihrem Kerngeschäft an, Pakete anzunehmen und aufzubewahren.

Immer mehr Onlinekunden lassen ihre Ware direkt an einen nahen Laden schicken

Für diese Dienstleistung erhalten sie je Paket eine Provision, die zwischen 30 und 40 Cent liegt. „Finanziell“, erklärt Özer, „lohnt sich das nicht so richtig.“ Aber seine Kunden seien es nun mal gewohnt, bei ihm ihre Pakete abzuholen. Ohne weiteres damit aufzuhören, das geht jetzt nicht mehr. Einmal Paketshop, immer Paketshop.

Wenn keine Kunden da sind, sitzt Özer draußen vor seinem Schaufenster auf einem rosa Sitzkissen und raucht. 1987 kam er aus Erzincan, einer Gebirgsstadt mit weniger als 100.000 Einwohnern im Osten der Türkei, nach Deutschland – eigentlich, um auf dem Bau Häuser zu verputzen. Das lief auch eine Weile gut, doch als er Ende der 90er Jahre immer weniger Aufträge erhielt, lautete seine Entscheidung: Spätshop statt Häuserbau.

Reich wird der Vater von drei Kindern dadurch nicht. Nie wisse er, wie viel am Monatsende in der Kasse bleibt. Beim Gedanken an deutsche Finanzämter und steigende Mieten blicken seine dunklen Augen etwas traurig drein. Wenn er eine andere Ausbildung hätte, sagt er, dann würde er aber sofort etwas anderes machen.

Ein weiterer Nachteil im Späti-Gewerbe: Nicht mal die Zigarettenpausen kann sich Özer frei einteilen. Kaum hat er sich eine Zigarette angezündet, biegt auch schon ein Kunde in die geöffnete Ladentür ab. Der Späti-Besitzer erhebt sich und folgt ihm gemächlich in seinen Laden. „Gauloises, die blauen bitte!“, möchte der Mann und kümmert sich kaum darum, dass er dem Kassierer gegenüber gerade die Zigarettenpause gestohlen hat. „Die meisten kaufen nur ein paar Kleinigkeiten. Zwei, drei Bier; eine Schachtel Kippen. Auch Milch oder Cornflakes“, sagt Özer. Wieder andere geben halt Pakete ab. Jedes Mal verbleiben ihm ein paar Cent als Gewinn. Das Späti-Gewerbe basiert auf der Summe vieler kleiner Cent-Beträge.

Als Özer vor vier Jahren überlegte, wo er noch ein paar Cent dazuverdienen könne, kam er auf die Idee mit der Post. Ausgebildet zum Post-Filial-Leiter wurde er in einem 3-Tage-Crash-Kurs. Heute erhalten Ladenbesitzer, die einen Paketshop eröffnen möchten, ein Tagesseminar oder eine kurze Schulung. Özer ist inzwischen routiniert: Er wiegt nur noch im Zweifelsfall die Pakete seiner Kunden. Bis auf wenige Gramm kann er abschätzen, ob das Gewicht noch im 4,10-Euro-Rahmen für Päckchen liegt. Ihre Größe kontrolliert er dagegen immer mit einer rechteckigen Schablone, die auf seine Theke geklebt ist, bevor er die Pakete scannt, sie über die separate DHL-Kasse verrechnet und in den Lagerraum bringt.

■ 2013 kauften Konsumenten in Deutschland Waren für 39,1 Milliarden Euro online ein – 11,5 Millionen mehr als 2012. Bundesweit wurden 2013 2,7 Milliarden Sendungen verschickt, 57 Prozent mehr als 2000. Der Umsatz im Kurier-, Express- und Paketmarkt ist seit 2000 um 60 Prozent auf 16,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr angestiegen.

Kiezläden als Kniff

Abends um kurz vor neun schreitet eine junge Frau eilig in den „Meet Kiosk“ herein, um ein Päckchen abzuholen. Eine Stammkundin. Özer bewahrt nur in Ausnahmefällen Pakete für private Empfänger auf, anders als viele andere Paketshops: Immer mehr Onlinekunden lassen ihre Ware nicht mehr nach Hause, sondern direkt an einen Laden in ihrer Nähe schicken, um sie nach der Arbeit auf dem Heimweg abzuholen. Der Kiezladen ersetzt die Nachbarwohnung als Aufbewahrungsstätte. Zudem können Onlinekunden hier ihre bestellten Schuhe, Pullover oder Jeans gleich wieder retour schicken, falls diese nicht passen. Kein Wunder, dass Jahr für Jahr mehr Pakete in Deutschland hin und her schwirren.

Die vielen kleinen Kiezläden mit ihren langen Öffnungszeiten waren der Kniff, mit dem die großen Paketunternehmen, beginnend in den 90er Jahren, eine Paketannahme einführen konnten, bei der man auch nach Büroschluss nicht vor verschlossenen Türen steht. Gleichzeitig beruht die Effizienz des wachsenden Onlinehandels auf einem Schwarm zuverlässiger, günstiger und gehorsamer Zusteller auf der einen sowie einem Netz von Paketshops mit ähnlichen Adjektiven auf der anderen Seite. Auf Menschen wie Alkan Özer, die ihre eigene Zigarette ausdrücken, um anderen eine Schachtel zu verkaufen. Und halt auch ein Paket entgegennehmen.