Torpedierte Bemühungen

Die Refugees versuchen mit Mut und Kreativität ihre Lebensumstände zu bessern – im November berufen sie eine Konferenz ein, die die Bewegung besser vernetzen soll

„The first Solidaridance“ Donnerstag, 6. November Soliparty, Ab 20 Uhr, Biergarten Jockel, Ratiborstraße 14c

Refugee Conference Berlin

14. bis 16. November Mehringhof, Gneisenaustraße 2a asylstrikeberlin.wordpress.com

■ Schlafmöglichkeiten oder Nahrungsmittel anbieten, Sachspenden abgeben, bei der Essensorga, Schlafplatzorga oder der Social Media Mobi mithelfen: Mail an ohlauerinfopoint@gmx.de oder Infotelefon 0157 58 37 67 88

„Wir brauchen jetzt vor allem Widerstand“, betont Turgay Ulu, türkischer Dissident und Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS) in Kreuzberg. Wir sitzen im Container auf dem Oranienplatz, einer von inzwischen zwei Fixpunkten des Protests der Geflüchteten in Berlin. Turgay ist seit Beginn der Bewegung dabei. Erst hat er auf dem Oranienplatz gewohnt, jetzt in der GHS. In den zwei Jahren, in denen sich die Bewegung in Berlin etabliert hat, ist viel passiert. Verhandlungen, Zusagen, Wortbrüche, Polizeigewalt. Kulminiert in der massivsten Polizeibesatzung, die ein Berliner Kiez je erlebt hat. Und in Obdachlosigkeit für Hunderte. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen – für den einige bereit sind, ihr Leben zu opfern.

Seit die Räumung der Schule im Juni dieses Jahres durch vehemente Proteste der Bewohner*innen und Unterstützer*innen abgewendet werden konnte, hat man hier weiter an der gemeinsamen Vision gearbeitet: dem Aufbau eines selbstverwalteten Flüchtlingszentrums. Nun haben die restlichen Bewohner der GHS erneut eine Frist gesetzt bekommen, um die Schule zu räumen. Und wieder mobilisieren sich Widerstand und Unterstützernetzwerke.

Als zuletzt im Oktober circa 100 Asylsuchende aus den Notunterkünften geräumt wurden, hat sich ein Bündnis aus kulturellen Institutionen zusammengetan und innerhalb weniger Tage 100 Schlafplätze zur Verfügung gestellt; darunter das Maxim Gorki und das Grips Theater. Momentan sind rund 200 Refugees obdachlos. Die selbst verwaltete Schlafplatzvermittlung ist beeindruckend, aber keine langfristige Lösung: „Das ist ja meist nur für kurze Zeit, maximal zwei Wochen. Wir brauchen eine echte Lösung, und die muss von Seiten der Regierung kommen. Monika Herrmann hat erst verkündet, dass sie und die Grünen die Lagerpolitik abschaffen wollen – jetzt soll sogar die GHS ein Lager werden“, sagt Turgay. Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht um irgendwelche Unterkünfte geht; die Obdachlosigkeit wird den sogenannten Lagern vorgezogen. Nachvollziehbar: In den letzten Monaten hat auch die Öffentlichkeit einen Einblick in die Zustände in deutschen Asylunterkünften bekommen. Das waren keine faulen Äpfel – es ist ein systemisches Problem.

In der Gerhart-Hauptmann-Schule soll ein Gegenentwurf dazu entstehen. Entworfen von denen, für die das Angebot bestimmt ist. Dazu gehört eine Theatergruppe, ein Radioprogramm, eine Zeitschrift. Turgay ist selbst Journalist und hat an der ersten Ausgabe mitgewirkt. Ein paar Exemplare sind bereits gedruckt, doch soll eine Auflage von mindestens tausend Exemplaren erreicht werden. Für all das braucht es Ressourcen – und Räumlichkeiten. Ohne die GHS fehlen diese. Turgay findet das Handeln des Bezirkes einfach nur paradox: „Einerseits sagt Herrmann, dass es an Geldern fehle, um uns zu finanzieren. Aber für ein Lager gibt es Geld? Sie sagt, die Kriminalität sei ein Problem, aber ein Projekt wie unser Kulturzentrum, das den Leuten etwas zu tun gibt und somit aktiv gegen Kriminalität wirkt, das torpediert sie.“

Von staatlicher Seite gibt es keine solchen Angebote, dabei sei das nötig in einer Situation, in der die Menschen weder arbeiten noch sich frei bewegen dürfen.

Seit der Gerhart-Hauptmann-Schule erneut die Räumung droht, hat sich auch das Team vom Ohlauer Infopoint wieder zusammengefunden. Mit ihrem Infotisch sind sie auch vor Ort präsent. „Es geht vor allem darum, dass wir die Medien mitgestalten“, erzählt Hannah. Sie ist seit zwei Jahren als Unterstützerin nah an der Bewegung dran. Man spricht mit der Presse, druckt Infoblätter – aber auch Supporter, Refugees und Nachbarn bekommen hier Informationen. In den letzten Tagen hat die Polizei immer wieder versucht, den Stand zu verdrängen: „Wir sind hier gerade noch Herr im Haus“, hat ein Beamter geätzt.

Online ist der Infopoint auf Facebook, Twitter und mit einem Blog aktiv. Seit dieser Woche wird wieder rund um die Uhr von der Situation berichtet. Auch, damit sich nicht zu viele Gerüchte verbreiten, die die Unterstützer unnötig auf den Plan rufen. „Wir überprüfen jede Info, bevor sie rausgeht“, erzählt Hannah. Das Hashtag #Ohlauer hatte sich bereits im Juni schnell etabliert; auf Facebook hat die Seite des Infopoints über 6.500 Likes. Fun Fact: Die „Interest“-Seite zu Innensenator Frank Henkel bringt es gerade mal auf 3.300. Gab es nicht mal einen Vorstoß für einen „dislike button“?

„Wir haben viel Unterstützung aus der Gesellschaft, wir brauchen die Unterstützung aus der Politik!“, betont Turgay erneut. Wie der Protest weitergehen kann, soll im November auf der „Refugee Conference“ im Mehringhof werden.

SYBILLE BIERMANN