Fixpunkt der Weltmusik

„Orientation 2010“ ist nicht nur ein Motto. Das 19. Festival der Weltkulturen Kemnade International im Städtedreieck Bochum, Hattingen und Witten will auch Modellfall der Kulturhauptstadt werden

VON PETER ORTMANN

Weltmusik ist Folklore, die ihr Heimatland verlassen hat und sich dem internationalen Wettbewerb der Klänge stellt. Eines der traditionsreichsten Festivals dafür findet nächste Woche in Bochum statt. „Kemnade International“ war bereits 1974 eine Kooperation des Museums der Stadt mit zahlreichen Ausländerorganisationen. „Migration war immer eine Besonderheit des Reichtums des Ruhrgebiet, aber auch eine Belastung“, sagt Bochums Kulturdezernent Hans-Georg Küppers. Denn sie wecke Ängste, mit denen umzugehen sei. Kultur sei Praxis für die Völkerverständigung. „Kemnade International ist da Vorreiter gewesen“, so Küppers.

Die regionalen Musik-Gruppen sind bis heute Teil der Programmstruktur im Haus Kemnade, einer Ruhrtal-Wasserburg an der Grenze von Bochum, Witten und Hattingen. Aber die Veranstaltung wirbt heute auch mit internationalem Flair, die direkte Ausrichtung auf den Orient wurde nach fünf Jahren aufgelöst. Zentraler Orientierungspunkt ist auch auf Kemnade das Jahr 2010 wenn das Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt ist. Es könnte sein, dass die verschiedenen Weltmusik-Festivals wie „Odyssee – Kulturen der Welt“ in Bochum, Hagen und Mülheim, das Micro-Festival in Dortmund oder das Kulturhauptstadt-Bewerbungs-Festival „Melez“ dann um die Gunst der 2010-Programmacher buhlen, alle präsentieren internationale Weltmusik der Migranten.

Doch die Kemnade-Veranstalter verstehen sich nicht als Konkurrenz. „Wir wollen uns nicht gegenseitig das Wasser abgraben“, sagt Festivalleiter Bertram Frewer. Alle seien eher Parallelveranstaltung. Wie das 2010 dann komprimiert werde, sei noch nicht sicher. Auf jeden Fall habe man mit dem ungarischen Ausnahmegeiger Félix Lajkó bereits einen Musiker aus Pécs im Programm, der Stadt die gemeinsam mit dem Ruhrgebiet Kulturhauptstadt sein wird. Er wird auf der Kult-Bühne unter der Rotbuche Balkan-Folklore mit klassischen Elementen verbinden. Dazu bleibt „Kemnade International“ eine Plattform für hier arbeitende Künstlerinnen und Künstler, die sich im Rahmen des alle zwei Jahre stattfindenden Festivals „auf Augenhöhe“ mit internationalen Künstlern präsentieren und kooperieren, wie das neunköpfige Rai Orchester des marokkanischen Sängers Said Leqroffi aus Unna oder Tapesh 2012 aus Bochum. Die iranische Band, die in diesem Jahr die Creole, den bundesweiten Wettbewerb für Weltmusik gewonnen hat, macht persischen Rap. Ihr Album „Wir sind Iran“ soll während „Kemnade International“ erscheinen. Das Konzert in der Wasserburg, die zwischen 1602 und 1704 gebaut wurde, wird vom Funkhaus Europa des WDR mitgeschnitten, deren kurdische Sendung „Bernama Kurdi“ ein Jubiläum feiert.

1987 startete das europaweit erste Radioprogramm in kurdischer Sprache und hat sich seitdem zu einer festen Größe in der kurdischen Medienlandschaft etabliert. Mit Aynur präsentiert man denn auch einen der Highlights des 19. Weltmusik-Festivals. Sie stammt aus einer kurdischen Provinz der Türkei und ist die bekannteste Künstlerin einer Gruppe von jungen, kurdischen Sängerinnen, die sich in den letzten Jahren offensiv für ihre Kultur einsetzen. Dieses Engagement brachte ihr zeitweise einen Platz auf dem Index ein. Aynur singt mit markanter Stimme auf Kurdisch und Türkisch den Blues der kurdischen Berge, den auch Regisseur Fatih Akin in seinem Istanbul-Dokumentarfilm „Crossing The Bridge“ (BRD/ Türkei, 2005) als Filmmusik nutzte.

Über 60 Gruppen und Einzelkünstler musizieren und tanzen auf drei Open-Air-Bühnen bis tief in die Nacht. Die neue Ausrichtung des Festivals unterstreichen The Shin aus Georgien, Bente Kahan & The Gypsy Four aus Finnland, Dikanda aus Polen, Koo Nimo aus Ghana und das Theodosii Spassov Trio aus Bulgarien. Der ehrwürdigen Rotbuche wird es wieder gefallen.

15. bis 17. Juni 2007 Wasserburg Haus Kemnade, Bochum Infos: 0234-9103953