Wo Menschen zu Tieren werden

Peter Truschner schreibt einen handfesten Gegenwartsroman: „Die Träume“

Für Robert geht es nicht weiter. Er ist Ende dreißig, seine Ehe ist zu einem „Mühlstein an Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten“ geworden“, und von seiner Arbeit als Assistent an einem geisteswissenschaftlichen Seminar ist nicht mehr geblieben als eine spärliche Auswahl „sperriger Veröffentlichungen“. Robert nimmt sich eine Geliebte, „nicht zum ersten Mal“, und als auch diese Affäre zerbricht, kommt es zum Eklat. Er bedroht einen Uni-Kollegen, ihm wird gekündigt und dann lässt er sich durch die Straßen treiben.

„Ich lerne die Stadt kennen“, erklärt er seiner Frau, doch es geht um mehr. Peter Truschners Roman „Die Träumer“ ist eine Reise an den Rand der Gesellschaft. Robert überschreitet die „Demarkationslinie, an der auf einer mittelalterlichen Weltkarte die zivilisierte Welt ihr Ende gefunden hat und die Welt der Ungeheuer begonnen hätte“. Hic leones sunt: Wie eine „Horde Tiere“ umlagern Obdachlose eine Parkbank, und sechzehnjährige Jungen mit Migrationshintergrund verteidigen ihre Reviere „wie Hunde“.

Das riecht nach sozialem Abenteuerroman und literarischer Unterschichtsdebatte. Tatsächlich liegt über den Randbezirken dieser namenlosen Stadt, die Truschners Wahlheimat Berlin stellenweise sehr ähnlich sieht, der „Geruch von Armut“, den Robert als Beleg nimmt für die „Billigkeit, mit der die meisten Menschen ihre Haut zu Markte tragen“. Der Weg von den „Träumern“ zu Clemens Meyers „Als wir träumten“ (2006) ist also auf den ersten Blick nicht weit. Beide gehören, ähnlich wie Claudia Klischats „Morgen. Später Abend“ (2005) oder Andres Veiels Dokuroman „Der Kick“ (2007) zu dem von der Kritik wohlwollend beäugten Stapel mit Plattenbauprosa und Hartz-IV-Romanen: reality bites.

Der 1967 in Klagenfurt geborene Peter Truschner setzt dabei auf einen distanzierten, leicht zynischen Blick und eine gewisse Zwangsläufigkeit der Ereignisse. Als Robert in einem heruntergekommenen Viertel am Stadtrand auf eine Organisation trifft, die hinter einer Fassade aus Hausaufgabenhilfe und Sozialarbeit junge Männer für eine Wehrsportgruppe rekrutiert, wird er vom teilnehmenden Beobachter zum Akteur. Der gescheiterte Hochschuldozent, dessen eigene Persönlichkeit „nur in Umrissen ausgebildet“ ist, unterwirft sich versuchsweise dem Regiment eines charismatischen Führers. Dass dieses Experiment kein gutes Ende nimmt, hatte man bereits auf den ersten Seiten des Romans erfahren, auf denen Robert kläglich am Rand eines S-Bahn-Dammes verreckt: „Ein Krähe landete neben seinem Kopf. Schwer zu sagen, ob der Vogel die Totenwache stellte oder die Müllabfuhr.“

„Die Träumer“ ist Truschners zweiter Roman und wirkt überambitioniert. Truschner erzählt mit Hilfe verschachtelter Zeitsprünge im Rückblick, kann die Spannung allerdings nicht lange aufrechterhalten. Der spröde, fast ungelenke Satzbau scheint zunächst ganz gut zu Roberts intellektuellem Selbsthass zu passen. Die expressionistischen Metaphern jedoch, die aus der großen Stadt eine „monströse Quantität“ machen und aus ihren Bewohnern eine „alltäglich stampfende, mampfende, telefonierende Urhorde“, wirken anachronistisch: Warum verlässt sich jemand, der über das Heute schreiben will, auf eine Sprache von gestern?

Dieser gekünstelte und gleichzeitig sorglose Umgang mit der Sprache macht es schwer, Robert auf dem Weg durch die düsteren „Tunnelsysteme“ der urbanen Brachlandschaft zu folgen, an deren Ende dann auch noch eine bei Albert Camus und seinem „Fremden“ entlehnte „Tat“ wartet. Robert schlägt zum ersten Mal in seinem Leben richtig zu. So endet ein weitgehend unentschlossener Roman über die gesellschaftlichen Umbrüche der Gegenwart mit einer handfesten existenzialistischen Pointe. Vielleicht ist das nur konsequent. Ein Schriftsteller ruft den philosophischen Notstand aus, während die Reporter der Nachrichtenmagazine Woche für Woche angesichts der Zustände in den Wohnsilos und „Gettos“ die soziale Katastrophe beschwören. Die Vermutung liegt nahe, dass beide nicht wissen, worüber sie schreiben. „Man macht sich immer übertriebene Vorstellungen von dem, was man nicht kennt“, wusste Meursault, die Hauptfigur in „Der Fremde“. Das gilt auch für die Wirklichkeit. KOLJA MENSING

Peter Truschner: „Die Träumer“. Zsolnay, Wien 2007, 251 Seiten, 19,90 Euro