Freilandversuch

„Gehe in die Stadt und lerne einen Japaner kennen“ – eine Versuchsanleitung von Luk Perceval in Düsseldorf

Es klingt nach dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Die Schauspielerin Nadine Geyersbach stiefelte in eine Kneipe und sah Rina Ota am Tisch sitzen. Sie ging hin und fragte die junge Japanerin, ob sie nicht mit ihr einen Kaffee trinken wolle. So kamen die beiden zusammen und machen inzwischen, was man eben so macht: ins Kino gehen, Tanzen, Klamotten kaufen, Kaffee trinken.

Die Freundschaft zwischen den beiden entspringt allerdings keinem Zufall. Nadine Geyersbach ist Schauspielerin am Düsseldorfer Schauspielhaus und nimmt an dem Projekt „Düsseldorf, mon amour“ teil, das der Regisseur Luk Perceval vor etwa einem Jahr angestoßen hat. Der Titel spielt auf den Film „Hiroshima, mon amour“ von Marguerite Duras an, der von der Liebesaffäre einer französischen Schauspielerin mit einem Japaner erzählt. Heute leben in Düsseldorf mehr als 7.000 Japaner, eine über Jahre entstandene große Community von Geschäftsleuten. An sie richtet sich Perceval mit seinem Projekt und möchte erkunden, „was passiert, wenn wir uns mit Menschen und Geschichten identifizieren, die in der Stadt vorhanden sind. Letztlich geht es um die Frage, wie fremd ist das Fremde.“ Die erste Aufgabe an die Schauspieler lautet denn auch: Gehe in die Stadt und lerne einen Japaner kenne.

Sein Motiv, so Perceval im Gespräch, sei das Unbehagen gewesen, dass das Theater oft nur aufgrund von Dramentexten oder Infos aus Zeitung und Fernsehen Kommentare über die Menschen und das Leben abgibt: „Wir urteilen über das Leben, aber wir nehmen nicht am Leben teil.“ Man muss da gar nicht erst Thomas Manns fast gleich lautende Sentenz bemühen, um hierin ein altes Künstlertrauma zu erkennen. Vom Pygmalionmythos bis zu heutigen Gruppen wie Rimini Protokoll hat die Kunst immer wieder sisyphoshaft die Nähe zum Leben gesucht, sei es, dass sie es selbst zu schaffen oder dass sie es authentisch abzubilden versucht.

Neun deutsch-japanische Freundschaftspaare haben sich inzwischen gebildet, die sich in regelmäßigen Abständen treffen und denen Luk Perceval und sein Assistent Nikolai Eberth dann mit der Kamera auf die Pelle rücken. Das Material haben die beiden zu einem vierzigminütigen Film zusammengeschnitten, der einen Zwischenstand des Projekts dokumentiert und am vergangenen Wochenende im Schauspielhaus Düsseldorf gezeigt wurde. Da sieht man den Schauspieler Winfried Küppers mit Herrn Sanchome über die Nachkriegszeit sprechen; Janina Sachau führt ihre Freundin Kumiko Kanai bei ihren Eltern ein; es gibt ein japanisch-deutsches Besäufnis, Karateunterricht, buddhistische Gebetsrituale. Das bunte Sammelsurium der Annäherung, das in Interviews und gefilmten Begegnungen ausgebreitet wird, hat etwas unverschämt Beiläufiges, einen demonstrativen Willen zum Nicht-bedeuten-Wollen.

Im Interview erzählt Luk Perceval von der Überraschung, dass die meisten Freundespaare ähnliche Erfahrungen gemacht, eine vergleichbare Geschichte durchlebt hätten. „Das Fremde ist letztlich ein Konstrukt, das wir uns schaffen und das unser Ego als Schutz benutzt, um eine sichere Distanz im Leben zu haben“, schließt er daraus. Das ist so neu nicht; Percevals unbedingtes Streben nach Wahrhaftigkeit zielt offenbar auf etwas anderes: auf Kunst als soziale Plastik. Es geht ihm offenbar um eine Versuchsanordnung, die das Reale am Lackmusstreifen der Kunst sichtbar machen soll und die als Erfahrung eher den Mitwirkenden dient als dem Publikum.

Nächster Drehtermin ist im Oktober. Luk Perceval glaubt, dass dann die Höflichkeitsgespräche geführt sind. Eher kryptisch deutet er den nächsten Schritt an: „Man kann mit der Lüge spielen, um etwas von der Wahrheit zu zeigen.“ Drei Jahre wird das Projekt dauern. Was am Ende herauskommt, ist offen.

Für Nadine Geyersbach steht allerdings schon jetzt fest: „Ich bräuchte für uns das Projekt nicht mehr, ich habe einen Menschen gefunden, von dem ich sagen würde, den hab ich.“

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN