„Israels Moral wurde zerstört“

1967 eroberte Israel im Sechstagekrieg Ostjerusalem, Gaza und Westjordanland. Im Rückblick ist die Besatzung ein Unglück, sagt Yael Dajan, Tochter des damaligen Kriegshelden Mosche Dajan

YAEL DAYAN, 67, ist Schriftstellerin und derzeit stellvertretende Bürgermeisterin von Tel Aviv. Sie gilt als konsequente Kritikerin der israelischen Besatzungspolitik im Westjordanland.

taz: Frau Dajan, 1967 wurde Ihr Vater, Mosche Dajan, damals Stabschef der israelischen Armee, als Sieger im Sechstagekrieg gefeiert. Als einer der ersten Israelis besuchte er die Klagemauer im eroberten Ostjerusalem. Erinnern Sie sich an diesen Tag?

Jael Dajan: Ich war 1967 Soldatin, gehörte zu den Truppen von Ariel Scharon und war an der ägyptischen Grenze im Einsatz. Mit meinem Vater hatte ich nur über Funk Kontakt. Für ihn spielte die religiöse Bedeutung Jerusalems keine Rolle. Er war Atheist. Ihm war aber das historische Element wichtig. Es ging ihm auch in keiner Weise um die Palästinenser und seine Rolle als Besatzer. Der Sechstagekrieg wurde ja gegen Jordanien geführt.

In Israel herrschte nach dem Sieg große Euphorie. Wie ging es Ihnen?

Ich war eher neugierig. Ich wollte die andere Seite sehen, die Altstadt in Ostjerusalem. Vor allem aber war die Euphorie 1967 eine Euphorie des Friedens, nicht der Besatzung.

Viele sind aber der Ansicht, dass 1967 mit der Besatzung von Westjordanland das Desaster der Palästinenser besiegelt wurde …

Ja, aber die Lage war damals komplex. Der arabische Gipfel in Khartum entschied sich am 1. September 1967 gegen Frieden und eine Anerkennung Israels. Ich habe mir damals trotzdem nicht vorstellen können, dass es noch einen großen Krieg geben würde und dass noch Jahrzehnte vergehen würden, ehe irgendeine Form palästinensischer Unabhängigkeit erreicht wird.

Warum hat es so lange gedauert, bis es Verhandlungen gab?

1967 war eigentlich klar, dass die israelischen Truppen nur für eine gewisse Zeit im Westjordanland bleiben würden. Warum es anders kam, hatte, neben den Neins aus Khartum, zwei Gründe: Zum einen entstanden die jüdischen Siedlungen; zum Zweiten scherte sich der damalige jordanische König Hussein nicht um die Palästinenser.

Sie meinen: Schuld an der nun israelischen Besatzung sind eigentlich die Jordanier?

Nein, ich will unsere Verantwortung für die Besatzung keineswegs herunterspielen. Aber man muss den Sechstagekrieg im politischen Kontext verstehen. 1967 war nicht der Beginn des palästinensischen Kampfes für einen eigenen Staat. Das Westjordanland stand vor dem Krieg 20 Jahre unter jordanischer Besatzung – und auch nach 1967 passierte lange nichts. Die Palästinenser haben sich nach 1967 lange vergeblich auf die Araber verlassen – auf Ägypten, was Gaza angeht, und Hussein in Bezug auf das Westjordanland. All das hat dazu geführt, dass es lange keine Verhandlungen gab – und dies machten sich die israelischen Siedler zunutze, um Fakten zu schaffen.

Hätte Israel 1967 also einseitig abziehen müssen?

Ich weiß nicht, ob das unmittelbar nach dem Krieg möglich war. Ohne Khartum vielleicht. Aber die Israelis hatten Angst, viele hatten Angehörige im Krieg verloren. Und wir hatten in der Welt noch wenig Rückendeckung, auch nicht von den USA.

Hat die Besatzung Israel in den letzten 40 Jahren verändert?

Ja, die Besatzung war auf allen Ebenen destruktiv. Sie hat die Demokratie beschädigt. Und sie lieferte gleichzeitig der Armee einen Rahmen, in dem sie als Gesetzgeber und als Rechtssprecher gleichzeitig fungieren kann. Moralisch betrachtet haben wir all unsere Rechtfertigungen, die es 1967 noch gab, verloren. Heute werden in Israel fundamentale und demokratische Werte im Namen der Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Das beste Beispiel ist der Libanonkrieg. Ich hoffe, dass damit zum letzten Mal Sicherheit als Rechtfertigung für jedes Fehlverhalten herhalten musste.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL