Leben und sterben lassen

Journalisten im Irak leben gefährlich. In den letzten zwölf Monaten starben 51 Medienvertreter. Anstatt für ihre Sicherheit zu sorgen, behindert die Regierung ihre Berichterstattung konsequent

AUS ERBIL INGA ROGG

Schnelle Entscheidungen gehören nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften des irakischen Parlaments. Als unlängst jedoch eine Abstimmung über den in Katar ansässigen Satellitensender al-Dschasira auf der Tagesordnung stand, zeigten die Abgeordneten eine seltene Einmütigkeit. Über die üblichen ethnischen, religiösen und politischen Gräben hinweg beschlossen sie, den Sender vor Gericht zu bringen, weil dieser nach ihrem Dafürhalten den höchsten schiitischen Geistlichen im Irak, Großajatollah Ali Sistani, beleidigt hatte. Konsequenzen wird der Parlamentsbeschluss für al-Dschasira wohl kaum haben – der Sender ist bereits seit 2004 aus dem Irak verbannt.

Immer wieder wurde auch al-Arabia, der zweite große panarabische Satellitensender, mit Verbot bedroht und zeitweise des Landes verwiesen. Beiden Fernsehanstalten wirft die Regierung vor, eine Kampagne gegen sie und das irakische Volk zu führen – was die Politiker aber nicht hindert, beiden Kanälen weiterhin Interviews zu geben.

Generell sind die neuen Mächtigen mit Verbotsdrohungen schnell bei der Hand, wenn Medien aus ihrer Sicht zu große Nähe zu den sunnitischen Aufständischen zeigen. So wollte die Regierung auch schon den Satellitenkanal al-Scharkia und die Tageszeitung az-Zaman schließen, beides Produkte aus dem Medienhaus von Saad Bazzaz, der bis Anfang der 90er-Jahre Chef von Saddam Husseins Pressemaschinerie war.

Die Politiker stört freilich nicht nur die unliebsame Berichterstattung. Gemäß dem neuen Antiterrorgesetz hat das irakische Parlament sämtliche Journalisten von seinen Sitzungen ausgeschlossen: Verfolgen kann man diese nur noch über eine Live-Übertragung, die allerdings nach Belieben abgeschaltet wird.

Eine heftig kritisierte Order des Innenministeriums verwehrt Journalisten neuerdings auch den Zugang zum Tatort nach Bombenanschlägen. Begründet wurde dies unter anderem mit dem Schutz von Medienmitarbeitern vor möglichen Nachfolgeanschlägen. Wenn es der Regierung tatsächlich um die Sicherheit der Presse gehe, solle sie mehr zum Schutz von Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen tun, fordern irakische Journalisten. Denn die meisten Journalisten seien nicht etwa durch die perfide geplanten Doppelanschläge ums Leben gekommen, sondern Opfer von gezielten Überfällen und Morden geworden. Am 20. Mai wurde Ali Khalil von az-Zaman entführt und Stunden später erschossen aufgefunden, am Dienstag vergangener Woche starb der Journalist Abdul Rahman Essawi zusammen mit sechs Familienangehörigen in seinem Haus in Falludscha; im südirakischen Amarra wurde Nazar Abdulwahid Radi auf offener Straße erschossen.

Die These von gezielten Anschlägen auf Medienmitarbeiter bestätigen auch Erhebungen des Journalistic Freedoms Observatory (JFO), das Verstöße gegen die Pressefreiheit im Irak überwacht. Danach gab es allein zwischen dem 3. Mai 2006 und dem 3. Mai 2007 insgesamt 123 Angriffe auf irakische Journalisten und Medienhäuser – doppelt so viele wie 2005/2006. Dabei wurden 51 Menschen getötet, 18 weitere entführt und 14 verhaftet. Wie viele Journalisten seit März 2003 im Irak umgekommen sind, ist unklar, die Schätzungen reichen von 143 bis 204 – und die Mehrheit der Opfer waren Iraker. Allein am Tag des Verdikts gegen al-Dschasira wurden nahe Kirkuk drei Journalisten und ihr Fahrer brutal ermordet.

Die Medien, vor allem die TV-Sender, sind zudem fast komplett in der Hand von Parteien – die es damit in der Hand haben, die Konflikte im Irak anzuheizen oder abzuschwächen. Die ethnische und religiöse Polarisierung hat indes auch dazu geführt, dass sich Journalisten nicht mehr in die Gebiete der jeweils „gegnerischen“ Gemeinschaft trauen. Kurden fahren nicht mehr nach „Arabistan“, wie sie es nennen, Schiiten nicht mehr in sunnitische Regionen und umgekehrt. Das gilt mittlerweile sogar für viele irakische Mitarbeiter der wenigen verbliebenen ausländischen Journalisten im Land.

Angesichts dieser Misere haben der irakische und der kurdische Journalistenverband gemeinsam mit der International Federation of Journalists (IFJ) eine nationale Sicherheitsstrategie zum Schutz von Medienmitarbeitern gefordert. Außerdem soll der Dialog zwischen den Medien der verschiedenen politischen, ethnischen und religiösen Gruppierungen gefördert werden. Von den Regierungsbehörden fordern die Pressevertreter, dass sie bei Übergriffen gegen Journalisten endlich ernsthafte Ermittlungen aufnehmen. Denn bislang herrscht im Irak auch in diesem Punkt weitgehende Rechtlosigkeit.