Fernsehshow provoziert Organstreit

Entgegen der offiziellen Unionslinie plädiert jetzt auch der Staatssekretär im bayerischen Gesundheitsministerium für eine Erleichterung von Organspenden. Jens Reich, Vizechef des Ethikrats, bekräftigt die entsprechende Forderung des Gremiums

AUS BERLIN BARBARA DRIBBUSCH

Sollen Millionen von BundesbürgerInnen dazu angehalten werden, sich zu Lebzeiten zu entscheiden, ob sie im Todesfall ihre Organe an Schwerkranke spenden oder nicht? Der Streit über diese Frage hat am Wochenende neue Nahrung erhalten.

Zum einen wollte eine niederländische Fernsehshow am Freitagabend Spenderorgane vergeben, dies erwies sich aber als Bluff. Zum Zweiten hatte am Internationalen Tag der Organspende, vergangenen Samstag, der bayerische Sozialstaatssekretär Jürgen W. Heike (CSU) angekündigt, dass man sich im Ministerium in Übereinstimmung mit dem Nationalen Ethikrat für die gesetzliche Widerspruchslösung „einsetzen wolle“, um mehr SpenderInnen zu gewinnen.

Die Einführung dieser Widerspruchslösung hatte der Nationale Ethikrat im April empfohlen. In Deutschland gilt bezüglich der Organspende bislang eine „erweiterte Zustimmungsregelung“. Danach werden im Falle des Hirntods Organe nur dann entnommen, wenn der oder die Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hat, etwa durch einen Organspendeausweis. Liegt keine Zustimmung vor, können die Angehörigen im Todesfall über die Entnahme entscheiden.

Nach der Widerspruchsregelung hingegen können Organe zur Transplantation schon dann entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen hat, etwa durch den Eintrag in ein Widerspruchsregister. In einigen EU-Ländern gilt diese Regelung bereits, die deutlich mehr Organspenden möglich macht.

Die Äußerung von CSU-Staatssekretär Heike im Sender Antenne Bayern wollte die bayerische Staatskanzlei gestern auf Anfrage allerdings nicht kommentieren. Das sei Sache des Sozialministeriums. Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) hatte sich in der Vergangenheit lediglich dafür ausgesprochen, die Vorschläge des Nationalen Ethikrats zu prüfen. Von einer aktiven Unterstützung der Widerspruchslösung war keine Rede gewesen.

Die Unionsfraktion im Bundestag hat jeden Vorstoß, das Gesetz zu ändern und eine Widerspruchslösung einzuführen, bereits abgelehnt. Auch die SPD plant keinen Gesetzesvorstoß. Parteipolitiker kritisieren, die Widerspruchslösung verletze das Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen, da es ihnen schon zu Lebzeiten eine Entscheidung über eine Organspende aufzwinge.

Ein gewisser Druck, sich zu entscheiden, sei aber durchaus gerechtfertigt, sagte gestern auf taz-Anfrage Jens Reich, stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Ethikrats. In Umfragen hätten viele Menschen immer wieder erklärt, der Organspende positiv gegenüberzustehen. Aber nur ein Bruchteil der BürgerInnen besitze einen Organspendeausweis. Deutschland sei ein Importland für gespendete Organe, dies sei nicht fair anderen Ländern gegenüber.

Laut einer aktuellen Umfrage des Eurobarometers würden 46 Prozent der Deutschen nach ihrem Tod Organe spenden, der EU-Durchschnitt liegt allerdings bei 56 Prozent. Nach einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums gilt in 11 von 19 EU-Ländern die Widerspruchsregelung. Zu diesen Staaten zählt auch Österreich. Dort kommen auf eine Millionen EinwohnerInnen pro Jahr 24 Menschen, denen nach ihrem Tod Organe entnommen werden. In Deutschland sind es nur 14 Spender. In absoluten Zahlen bedeutet das deutschlandweit rund 1.200 Entnahmen jährlich. Allein durch Unfälle sterben allerdings rund 5.000 Menschen. (mit AP)

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