„Widerstand muss zärtlich sein“

JEAN PETERS

„Wenn ich einem Polizisten als Clown begegne, dann lässt er mich ganz nah an sich rankommen. Ich habe in meinem Clownskostüm sogar einmal mit meinem Wischmopp die Waffe des Polizisten abgestaubt“

Sein Zuhause ist der Zirkus, sein Publikum die Welt. Jean Peters mag Kindergeburtstage und die Bühne genauso wie Protestcamps und Widerstand. Im Berliner Zirkusprojekt Circolibre bringt er als Clown Ruuudi Kindern im Nahen Osten Jonglieren bei – am Brandenburger Tor bevorzugt er Aktionsclownerie mit Herrschaftssymbolik. Wenn Clown Ruuudi nicht verkleidet ist, studiert der 23-Jährige Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Und gibt auch mal Seminare zu „Politischer Clownerie“. In dieser Woche fährt er zu den G-8-Gipfelprotesten nach Heiligendamm – um den Staatschefs und den Demonstrierenden einen Spiegel vorzuhalten

INTERVIEW MARTIN KAUL
UND ULRICH SCHULTE

taz: Herr Peters, Sie standen vergangene Woche als Regierungschef vor dem Brandenburger Tor und verkauften G-8-Inhalte. Wie reagierten die Leute?

Jean Peters: Bei unserer Protestaktion haben wir uns Masken aufgezogen, ich war Romano Prodi. Wenn ich so verkleidet auf dem Pariser Platz stehe und eine Kommilitonin im Knut-Kostüm den Klimakoller kriegt, dann ist das zunächst einmal plakative Symbolik. Viele Menschen lachen uns zu, es amüsiert sie.

Überzeugen Sie sie so von Ihrer Sicht der Dinge?

Nicht unbedingt. Aber solche Aktionen zielen auch eher dahin, Öffentlichkeit zu schaffen und den Blick auf Probleme zu lenken. So entstehen Bilder, die von jeder und jedem Einzelnen abends am Küchentisch kommentiert werden können. Die Hürde zu den Menschen ist einfach niedriger, wenn ich meine Argumente über Humor vermittle. Dass das funktioniert, zeigen mir die Gespräche, die ich nach einer solchen Aktion in der U-Bahn führe, während mir meine Schminke zerläuft.

Wenn Sie sich als Clown kostümieren, können Sie also auch mit Wildfremden über Politik reden?

Ja. Humor ist ein gutes Mittel, um mit Problemen umzugehen. Wer mit Witz angesprochen wird, hat nichts zu befürchten. Darin liegt viel Potenzial, um Menschen – auch politisch – zu sensibilisieren. Ihr Urteil bleibt ihnen dann selbst überlassen. Das ist auch der Unterschied zu der Art von Politik, wie ich sie kritisiere: wenn es eben keinen Raum für Austausch mit den Menschen gibt. Genau diese Politik wird ja auch von den Staats- und Regierungschefs in Heiligendamm praktiziert.

Sie werden diese Woche gegen den G-8-Gipfel protestieren. Warum?

Weil ich das, was in Heiligendamm passiert, für bedenklich halte. Das G-8-Treffen ist ja eigentlich nichts anderes als eine gigantische Show, eine Machtpräsentation allererster Güte, obwohl die Entscheidungen ganz woanders getroffen werden. Hier wird einfach nur mit Macht gespielt, mit effektiver Macht über die Köpfe von Millionen von Menschen hinweg. Was mich allerdings beim Protest nervt, ist der dauernde Reflex, einfach dagegen anzuschimpfen. Auf diese Art von Machtbestätigung will ich mich gar nicht einlassen. Wir sollten lieber kreativ werden. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Überzeugung das Mittel der Politik ist.

Wie überzeugen Sie?

Ich will die Selbstverständlichkeiten, die uns so vertraut scheinen, dekonstruieren. Ich will zeigen, dass die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, handgemacht sind. Und dass jede und jeder von uns über Möglichkeiten verfügt, gegen sie anzugehen. Indem ich die Menschen als Menschen anspreche, schaffe ich außerdem etwas Verbindendes.

Das klingt sehr allgemein.

Ein Beispiel: Wenn ich einem Polizisten als Clown begegne, dann lässt er mich ganz nah an sich rankommen. Ich habe in meinem Clownkostüm sogar einmal mit meinem Wischmopp die Waffe des Polizisten abgestaubt.

Das lässt er sich gefallen?

Ja. Ich lache ihn an, er lächelt vielleicht etwas gequält zurück. Und dann sage ich: „Entschuldigung, ich bin von der ethnischen Säuberungsgesellschaft, Befehl von oben!“

Ganz schön hart.

Nein. Eigentlich ist es das nicht. Es zielt nämlich auf den Menschen, der unter der Uniform steckt. Ich mache die Erfahrung, dass die Leute das verstehen, weil ihnen das Spielerische des Clowns vertraut ist. Es gibt nur wenige Menschen, die nicht als Kind davon begeistert waren. Und der Witz ist doch: Der Polizist trägt auch nur ein Kostüm. Ich bin erfolgreich, wenn er das begreift.

Gelingt ihnen diese Dekonstruktion immer?

Nicht immer, aber oft. Der Clown verkörpert Zutrauen. Manche Menschen tragen ihre Masken natürlich konsequenter. Politiker etwa. Dennoch: Ich habe bei politischen Aktionen schon Edmund Stoiber den Staub vom Anzug gewischt und Renate Schmidt eine Clownsnase aufgesetzt. Klaus Wowereit ist so ein Grenzfall: Der ist selbst ein so guter Clown, dass er mich für sich instrumentalisieren wollte. Da wird es für einen Clown gefährlich.

Wie sind Sie zur Clownerie gekommen?

Da war ich 17 Jahre alt und lebte noch in Aachen. Ein Freund, der an einer Clownschule war, nahm mich mit in einen Kinderzirkus, wo ich meine ersten Erfahrungen in der Manege machen konnte. Das fand ich einfach total super, weil ich hier meine spielerische Ader ausleben durfte. Bis heute reizt mich diese dauernde Verbundenheit mit dem Publikum, die man als Clown hat. Für mein Politikstudium bin ich dann vor drei Jahren nach Berlin gekommen. Hier arbeite ich als Trainer in Kreuzberg im Zirkus Cabuwazi mit Kindern und Jugendlichen.

Was machen Sie mit den Kindern?

Wir üben Jonglage und Clownerie und bereiten gemeinsame Shows vor. Die Kinder und Jugendlichen sollen mal im Mittelpunkt stehen dürfen. Mir liegt besonders unser Projekt Circolibre am Herzen. Zweimal im Jahr fahren wir in den Nahen Osten, um mit Kindern aus Deutschland, Israel und Palästina Trapezkunst zu üben. Diese Kinder begreifen früh, dass sie nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Weltbild brauchen – sie müssen einander einfach nur festhalten. Insofern ist auch diese Arbeit wieder politisch. Auch im Zirkus Cabuwazi entdecken Kinder aus sozialen Brennpunkten ihr Selbstwertgefühl, weil sie in der Manege zeigen dürfen, was sie drauf haben.

Das klingt alles sehr engagiert. Was ziehen Sie selbst aus dem Clownsein?

Die Clownerie schafft einen Freiraum, in dem ich mich selbst ausleben kann und meine Grenzen neu definiere. Aber zuerst einmal erfüllt sie mich ganz unmittelbar. Es ist einfach ein unglaublich intensives Erlebnis, bei einer Kinderparty aufzutreten. Kinder geben eine ganz direkte Rückmeldung: Wenn du sie nicht jede Minute aufs Neue packst, gehen sie einfach. Und in der Uni mache ich nicht die Erfahrung, dass die Professoren nach einer erfolgreichen Klausur lachen, jubeln, klatschen und mir bis zum Gartenzaun hinterherlaufen, wenn ich gehe.

Kinder sind eben gnadenlos ehrlich. Gilt das auch für einen guten Clown?

Die Kunst ist es, niemanden zu bedienen, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Vielleicht am Beispiel: Abgesehen von meiner politischen Arbeit als Clown verdiene ich neben dem Studium ja auch ein bisschen Geld damit. Wer mich bucht, darf aber keine Wunschillusion bekommen. Sich über die CDU lustig zu machen, weil die SPD dafür bezahlt, das ginge überhaupt nicht. Diese Konsequenz halte ich strikt ein, alles andere wäre Verrat. Clown sein heißt: Das Publikum auf sich selbst zurückzuwerfen, mit sich selbst zu konfrontieren.

Früher war das die Aufgabe des Narrs am Hofe …

… und trotz seiner Narrenfreiheit ist im Zweifel sein Kopf gerollt, wenn dem Herrscher sein Witz nicht mehr gefiel.

Das haben Sie ja zum Glück nicht mehr zu befürchten.

Das stimmt nur halb. Natürlich gibt es auch heute noch Grenzen, seine Wahrheiten auszusprechen. Das zeigt sich doch recht beachtlich in der Repressionspolitik, wie sie anlässlich des G-8-Gipfels gerade betrieben wird. Die Aufgabe des Clowns ist es auch im dritten Jahrtausend noch, hier einen Spiegel hoch zu halten.

Wem werden Sie bei den Gipfelprotesten in Heiligendamm den Spiegel vorhalten?

Das ist eine spannende Frage und führt zu einer paradoxen Situation: Natürlich muss sich der Clown an alle richten. An diejenigen, die dort die Weltlage so unerträglich beherrschen, an die Ordnungshüter, die das ermöglichen, aber auch an die Demonstrierenden.

Der Gipfel behandelt – vom Klimaschutz bis zur Entwicklungszusammenarbeit – schrecklich ernste Themen. Darf der Protest spaßig sein?

Da verwechseln Sie etwas. Ich mache keinen Klamauk. Ich nehme sehr ernst, was ich tue. Gerade in der Clownerie ist das wichtig. Ich bin auch ein Mensch, und ich habe auch Gefühle. Mir geht es ja gerade darum, diese Gefühle freizulegen. Ein Protest ist dann ansprechend, wenn ich mit Gefühlen jongliere – mit meinen und mit denen anderer. Trotzdem stimmt auch: Revolution ohne Gaudi ist für mich keine Revolution. Wenn ich ein Haus besetze, nehme ich Luftballons mit.

Das sehen andere in der linken Bewegung ernster.

Gut. Aber da muss man sich auch unterscheiden dürfen. Ich kann sehr gut verstehen, wenn die Menschen wütend werden. Und ich finde es auch wichtig, Wut zu leben. Wie man das tut, kann jede und jeder für sich entscheiden. Und da steht für mich persönlich eben Gewalt nicht zur Debatte, ziviler Ungehorsam schon eher. Dennoch bleibe ich dabei: Widerstand muss zärtlich sein.

Was bedeutet das?

Veränderung entsteht aus Leidenschaft und Leidensdruck. Das sind sehr starke Gefühle. Ich glaube, dass die Menschen eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Verständigung haben. Ein Molotowcocktail ist vielleicht Ausdruck großen Leidensdrucks. Er schafft aber keine Verständigung.

Wie funktioniert denn Verständigung?

Ich möchte, dass der Gipfelprotest das bunteste Großereignis wird, das man hierzulande je erlebt hat – mit einer breiten Vielfalt an friedlichen Protestformen. Wir werden dazu Großpuppen bauen, die symbolisieren sollen, dass ganz normale Menschen ihre Stimme erheben – eine Oma mit Krückstock, einen Punk. Außerdem spielen wir Straßentheater und Sketche für und mit den Menschen.

Und das ist eine Perspektive?

Nein. Das sind Mittel einer Bewegung. Aber es wäre doch wirklich beindruckend, sich dem Schaukeleffekt der Kriminalisierung zu entziehen, wie sie derzeit vom Staat provoziert wird. Meine Perspektive wäre: Genau diese Konfrontationen zwischen Polizei und Demonstrierenden aufzubrechen und den immer wieder völlig übertriebenen Polizeiaufgeboten ihre Legitimation zu entziehen – in Heiligendamm und anderswo. Wir brauchen diese vielen Uniformen nicht, um unsere Anliegen zu artikulieren. Es gibt doch genug bunte Stoffe, um sich viel schöner zu kostümieren!

Sie wünschen sich, dass alle lieb zueinander sind. Sind Sie da nicht zu blauäugig?

Meinetwegen bin ich sogar illusorisch. Was wäre ich für ein Clown, wenn ich mir das nicht gestatten würde?