Kick it like Bilgin Defterli

SPORTEHRGEIZ Die Ausstellung „Schuhgröße 37“ zeigt Fußballerinnen aus Palästina, Ägypten, der Türkei und Berlin. Fotografien und Filme jenseits von Religions- und Nationalitätsfragen

Bunt und fröhlich sind die Bilder. Es sind Bilder von Frauen, die Spaß daran haben, Fußball zu spielen, egal ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht

VON JULIA SCHWEINBERGER

Er steht auf dem Fußballplatz und schreit seine Mädchen an. Konzentrierter sollen sie spielen, mehr Zweikämpfe gewinnen. Manchmal muss er laut werden und manchmal sogar unfair, erzählt Murat Dogan in einem Video. Er ist Trainer des Mädchen- und Frauenteams von Türkiyemspor, einem Fußballverein in Kreuzberg. Isabel Alvarez hat den Alltag der Mannschaft mit der Kamera eingefangen. Beim Training, in der Umkleide und bei Spielen war sie dabei.

Anlässlich der Fußball-WM, die am 26. Juni startet, zeigt das Kreuzberg-Museum die Ausstellung „Schuhgröße 37“ und hat den kleinen Raum im zweiten Stock ganz im Zeichen des Fußballs gestaltet. Der Boden ist ein grünes Fußballfeld. Darauf stehen Bänke, die an Umkleidekabinen erinnern.

Neben Alvarez’ Filmen hat sich auch die Fotojournalistin Claudia Wiens mit Frauenfußball auseinandergesetzt. In Palästina, Ägypten, der Türkei und in Berlin-Kreuzberg war die Fotografin unterwegs und hat die Sportlerinnen bei dem beobachtet, was sie am liebsten tun. Fußballspielen. Bunt und fröhlich sind ihre Bilder. Sie zeigen jubelnde Spielerinnen nach einem Sieg, aber auch die konzentrierten Blicke während des Trainings. Es sind Bilder von Frauen, die Spaß daran haben, Fußball zu spielen, egal ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht.

Denn „Schuhgröße 37“ ist keine „Islamausstellung“, betont die Kuratorin Susan Kamel. Kein „Football under cover“, kein „Kicken mit dem Hijab“. Wiens’ Bilder zeigen eine Fußballwelt fern von Religions- und Nationalitätsfragen. „Egal ob Muslimin oder Christin, auf dem Platz sind alle gleich“, erklärt Kamel. Die Spielerinnen aus Berlin oder Ramallah können selbst entscheiden, ob sie Kopftuch tragen wollen oder nicht. Lange Zeit hat Wiens in Ägypten und in der Türkei gelebt, auch in Palästina war sie oft als Journalistin und Fotografin unterwegs. Dass sie den Fokus der Ausstellung daher auf diese Länder legt, hat praktische Gründe. 2008 lernten sich Wiens und Kamel in Kairo kennen. Aufgrund ähnlicher Interesse entstand die Idee für das Ausstellungsprojekt „Schuhgröße 37“.

Worum es den beiden vor allem geht, ist, Anerkennung für den Frauenfußball zu schaffen. Denn in allen Ländern müssen Frauen dafür kämpfen, ihre Leidenschaft durchzusetzen. Und so zeigen Wiens’ Bilder nicht nur die schönen Momente im Fußball, sondern eben auch seine Schattenseiten. Die Benachteiligung von Frauen, wenn es beispielsweise um Trainingsbedingungen geht. In Ägypten können die Spielerinnen oft nicht auf Rasen trainieren. Stattdessen müssen sie sich mit einem Beton- oder Sandplatz zufriedengeben. Die Palästinensische Nationalmannschaft darf froh sein, wenn überhaupt ein gemeinsames Training stattfinden kann. Denn den in Gaza lebenden Spielerinnen bleibt die Ausreise ins Westjordanland oft verwehrt. Nur bei Turnieren im Ausland ist das Nationalteam vereint.

Weder Palästina noch Ägypten werden an der kommenden WM teilnehmen. Und auch die Türkei ist in der Qualifikation im Spiel gegen Österreich knapp ausgeschieden. Dennoch boomt der Frauenfußball, insbesondere in der Türkei. Um international mitmischen zu können, steckt der türkische Fußballverband viel Geld in die Nachwuchsförderung. Eine Wiens-Fotografie zeigt eine Gruppe Mädchen in einem Bus, die auf dem Weg ins Sommercamp ist. Zwei Wochen lang intensives Training für die jungen Spielerinnen. Doch das war nicht immer so.

Bilgin Defterli, die 2010 Torschützenkönigin in der deutschen Bundesliga wurde, steht zwar für erfolgreichen Frauenfußball, doch konnte sie ihre Leidenschaft für den Sport in der Türkei nie ausleben. Die einzige Möglichkeit, ihren Traum wahr werden zu lassen, war, nach Deutschland zu kommen. Und so ging die damals Anfang Zwanzigjährige, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, zum FSV Frankfurt. Mittlerweile ist Defterli Profifußballerin und spielt beim 1. FC Köln in der zweiten Bundesliga.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die Wiens und Kamel hier erzählen. Dabei geht es den beiden gar nicht darum, erfolgreiche Karrieren zu zeigen, stattdessen sollen Spaß und Freude, die Fußballerinnen an ihrem Sport haben, sichtbar werden. Und ungeachtet aller Diskriminierungen, die es im Frauenfußball nach wie vor gibt, zeigen Wiens’ Fotografien und Alvarez’ Filme selbstbewusste junge Frauen, die ihren Sport lieben. „Jungs wollen Profis werden, Mädchen wollen einfach nur spielen“, stellt Trainer Dogan fest. Und deswegen muss er eben manchmal laut werden auf dem Platz, manchmal auch ein bisschen unfair. Aber schließlich sind seine Mädchen von Türkiyemspor ehrgeizige Spielerinnen, die etwas erreichen wollen. Und statt immer nur über Religion und Nationalitäten zu diskutieren, wollen sie endlich über das sprechen, worum es eigentlich beim Fußball geht. Den Sport.

■ „Schuhgröße 37“. Kreuzberg-Museum, Adalbertstr. 95A, bis 27. August, Mi–So 12–18 Uhr. www.kreuzbergmuseum.de