„Du lügst doch! Amin ist längst tot!“

36 Jahre nach der Machtergreifung des Diktators Idi Amin feiern die Ugander ihren berüchtigten Landsmann auf der Leinwand: „Der letzte König von Schottland“ ist Thema Nummer 1 in einem Land, in dem es nur ein einziges Kino gibt – aber viele verschiedene Erinnerungen an den „Schlächter “

AUS KAMPALA MARC ENGELHARDT

Das schafft sonst nur Ugandas Präsident Yoweri Museveni: Am Tag nach der Oscar-Prämiserung für seine Rolle als ugandischer Diktator Idi Amin grinst Forest Whitaker von den Titelseiten aller ugandischen Zeitungen. Selbst das Boulevardblatt Red Pepper hat die obligatorische Halbnackte zur Seite gerückt, um Platz zu machen für die Schlagzeile: „Whitaker: Bade-Orgie nach der Verleihung“. In Uganda kommt so etwas einem Ritterschlag gleich. Auf den Straßen, in den Bretterbuden-Cafés am Straßenrand und in den vollgestopften Matatu-Bussen gibt es nur drei Gesprächsthemen: Whitaker, Amin und der erste in Uganda gedrehte Hollywood-Film, „Der letzte König von Schottland“. Jeder Ugander fühlt sich mit geehrt, es herrscht die Stimmung: Wir sind König.

Im Film flieht der schottische Arzt Nicholas Garrigan aus dem muffigen Schottland der 70er in das exotisch-aufregende Uganda und verfällt der Ausstrahlung und Macht des frisch gebackenen Alleinherrschers Idi Amin. Als sein Leibarzt erfährt Garrigan im Film vor allem die lustvolle Dekadenz des Amin-Regimes – die grausame Wirklichkeit der Diktatur erfahren Garrigan und die Zuschauer erst zum Ende des Films hin, als die gewalttätige Fratze des manisch- depressiven Diktators immer offener zutage tritt.

Joanitta Bewulira-Wandera gehört zu denjenigen, die Amins Herrschaft miterlebt haben. Wie die meisten ihrer Zeitgenossen, so erinnert sich auch die heute 46-Jährige an den grausamen Tod eines Verwandten. „Mein Großonkel war ein kritischer Richter, eines Tages fand man ihn in seinem Mercedes: Amins Leute hatten eine schwere Metallstange in seinen Rachen gewuchtet und ihn danach angezündet.“

Sein Schicksal hatte die ugandische Filmemacherin immer wieder vor Augen, als sie die gut 6.000 Statisten aussuchte, die für die erste Hollywood-Produktion auf ugandischem Boden benötigt wurden. Keine einfache Aufgabe in einem Land, in dem die wenigsten überhaupt wissen, was genau ein Kinofilm eigentlich ist.

„Es gibt am Anfang des Films diese Szene, wo Forest Whitaker als Idi Amin vor die jubelnde Menge tritt und seine Antrittsrede hält“, erzählt Bewulira-Wandera. Für die Einstellung, die mitten auf dem Land gedreht wurde, musste sie irgendwie 2.000 Darsteller herbeischaffen. „Was sollte ich tun – ich bin in die Dörfer gegangen und habe Bauern und Hausfrauen überredet, mitzumachen.“ Schwierigkeiten gab es erst, als sie den neuen Statisten erklärte, dass sie in der Szene Idi Amin bei einer Rede zujubeln sollten. „Die haben mich ausgebuht und angeschrien: Geh nach Hause, Mädchen, Du lügst doch –Amin ist längst tot!“ Als dann aber am Morgen des Drehs Forest Whitaker auf die Bühne trat, kannten die Hilfsschauspieler kein Halten mehr. „Das Johlen und die Begeisterung waren echt, davon war nichts gespielt.“ Zum Glück hatte Bewulira-Wandera dem Regisseur Kevin Macdonald vorher geraten, die als Generalprobe geplante Szene komplett zu drehen. Eine Wiederholung war nicht mehr nötig.

Ein anderes Mal war die Uganderin zu nett zu ihren Komparsen: Weil der Bus, in dem der schottische Arzt Nicholas Garrigan zu seiner Missionsstation reist, in den Sonnenaufgang hineinfahren sollte, begannen die Dreharbeiten mitten in der Nacht. Also ließ Bewulira-Wandera für die Schauspieler ein ausgiebiges nächtliches Frühstück bereitstellen. „Als es losging, haben wir den Leuten gesagt: Okay, ihr habt eine lange nächtliche Busreise hinter euch, seht möglichst müde aus.“ Doch das wollten die Schauspieler nicht einsehen. „Die sagten: Warum, wir haben doch gerade erst gefrühstückt, wir sind nicht mehr müde.“ Weil alles Bitten nicht half und der Sonnenaufgang immer näher rückte, griff Bewulira-Wandera schließlich zum Äußersten: „Entweder ihr seid müde, oder es gibt kein Geld.“ So müde Passagiere wie in dieser Szene, lacht sie heute, hat sie danach nie wieder gesehen.

Doch nicht nur für die Hilfskräfte vom Land war der Dreh eine andere Welt. Obwohl Bewulira-Wandera schon mehrere Produktionen beim ugandischen Fernsehen verantwortet hat – zuletzt eine Art ugandisches „Emergency Room“ –, war auch sie von der schieren Größe des Unternehmens „Letzter König von Schottland“ erschlagen. „Bei unseren Produktionen setzen wir uns zur Besprechung unter einen Mangobaum, hier wurden wir in Abteilungen aufgeteilt und nach und nach behandelt.“ Auch sonst hat die Uganderin eine Menge gelernt. Das Wissen will sie bei künftigen Produktionen einsetzen: „Ich hoffe, dass noch mehr solcher Filme in Uganda gedreht werden – Stoff gibt es jedenfalls genug.“

Vom Hollywood-Standard lernen will auch Musarait Kashmiri, die in Kampala gemeinsam mit der indischstämmigen Regisseurin Mira Nair eine Filmschule für Ostafrikaner leitet. Den „Letzten König von Schottland“ mag sie trotzdem nicht. Den Filmemachern wirft sie vor, Uganda als Schauplatz missbraucht zu haben, mehr nicht. „Es wäre interessant gewesen, was Ugander selbst zu Amin zu sagen hätten, aber das kommt in diesem Film nicht vor.“ Viele historische Details seien zudem falsch, was die Filmemacher damit entschuldigen, dass es sich um einen Spielfilm, keine Dokumentation handelt. Schließlich ist sogar die Hauptfigur des Films, der schottische Arzt Garrigan, eine von Autor Giles Foden erfundene Kunstfigur. „Aber mal ehrlich: Für die Zuschauer selbst hier ist ein so gut gemachter Film doch wie das Evangelium, das wird doch von niemandem hinterfragt.“

In Kashmiris „Maisha“-Filmschule bewerben sich seit drei Jahren Nachwuchsautoren und -regisseure mit ihren eigenen afrikanischen Geschichten. Inzwischen bildet „Maisha“ auch Kameraleute, Tonassistenten und Cutter aus. Das Ziel: Ostafrikaner sollen ostafrikanische Geschichten mit ostafrikanischen Schauspielern und Crews drehen können. „Solche Crews stehen dann in Zukunft auch den ausländischen Regisseuren zur Verfügung, die immer häufiger in Afrika drehen: Es ist doch absurd, dass die ganzen Crews bislang aus Europa und Amerika eingeflogen werden.“ Kashmiri ärgert sich darüber, wie großzügig der ugandische Staat und Präsident Museveni persönlich die Macher aus Hollywood hofiert haben. Ihnen wurde die Mehrwertsteuer erlassen, Genehmigungen wurden ohne Rückfrage erteilt, Armeesoldaten ohne Murren als Statisten bereitgestellt. „Wenn ich als Uganderin einen Film machen will, muss ich mich monatelang mit den Behörden herumschlagen, nur um eine Drehgenehmigung zu bekommen.“ Auch eine staatliche Kulturförderung gibt es nicht in Uganda.

Mit dem Ergebnis des von ihm unterstützten Drehs war Ugandas Staatschef Museveni jedenfalls zufrieden. Nach der Premiere, angeblich Musevenis erster Kinobesuch seit 47 Jahren, bescheinigte er dem Hauptdarsteller volle Authentizität: „Ich gratuliere Herrn Whitaker, er ist ein echter Amin.“ Anders sieht das jemand, der den Titel „echter Amin“ für sich selbst beanspruchen kann: einer von Idi Amins Söhnen, der 41-jährige Geschäftsmann Jaffar Amin. „Der Film zeigt nichts anderes als die gängigen Vorurteile, die der Westen über meinen Vater hatte.“ Idi, so erinnert sich Jaffar, sei ein strenger, aber guter Mann gewesen, der ihm schon mit 12 Jahren Autofahren und Schießen beigebracht habe. „Als Präsident hat er totale Kontrolle über Dinge gehabt, aber genau das mögen viele Ugander noch bis heute: In den 80ern, nach meinem Vater, kamen die großen Unruhen.“

Trotz der neu angefachten Diskussionen über Amins blutiges Erbe ist sich der Sohn des letzten Königs von Schottlands keiner Schuld bewusst. Im Gegenteil.

Bei der nächsten Präsidentenwahl im Jahr 2011, so sinniert Amin junior, könne er sich gut vorstellen, selbst anzutreten und in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.