„Spygate“ dicht

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Einen Monat lang hat das Verfahren gegen Lewis Libby das politische Washington in Atem gehalten. Nun ist es der tiefe Fall des einstigen Stabschefs von US-Vizepräsident Dick Cheney, der die Öffentlichkeit beschäftigt. Libby wurde am Dienstag wegen Meineids, Rechtsbehinderung und Falschaussage verurteilt. Im Juni soll das Strafmaß verkündet werden. Er könnte, so Beobachter, zwischen anderthalb und drei Jahren Gefängnis erhalten. Nach dem Gesetz können bis zu 25 Jahre und eine Million Dollar Strafe ausgesprochen werden.

Der Gerichtssaal war noch nicht ganz geräumt, als sich draußen schon ein Jurymitglied, Dennis Collins, ein ehemaliger Reporter der Washington Post, vor TV-Kameras wunderte: „Wo sind eigentlich die anderen Kerle, Karl Rove [Präsident Bushs Vizestabschef; Anm. d. Red.] … und so. Was machen wir hier mit Libby allein? Er ist sozusagen das Bauernopfer!“ Libby, ein enger Vertrauter Cheneys, war der einzige Angeklagte in dem als „Spygate“ bezeichneten Prozess.

Die elfköpfige Jury sah es als erwiesen an, dass sich Libby im Zusammenhang mit der gezielten Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame schuldig gemacht habe. Theoretisch drohen dem 56-Jährigen bis zu 25 Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu einer Million Dollar (760.000 Euro). Allerdings wird bei der Verkündigung des Strafmaßes im Juni eine weit niedrigere Strafe erwartet.

US-Präsident George W. Bush, der selbst in dem Fall aussagte, fühle mit Libby und dessen Familie, kommentierte das Weiße Haus das Urteil. Kein Kommentar kam vom Präsidenten auf die Frage, ob das Weiße Haus erwäge, Libby zu begnadigen, was Bush gemäß der Verfassung tun könnte. Cheney nannte unterdessen das Jury-Urteil „sehr enttäuschend“. Libby ist seit zwei Jahrzehnten der ranghöchste Mitarbeiter des Weißen Hauses, der verurteilt wurde. Die letzte solche Verurteilung erfolgte im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre Ende der 80er-Jahre.

Sonderstaatsanwalt Patrick Fitzgerald blieb nach der Urteilsverkündung demonstrativ unemotional. Er bezeichnete es als „traurig“, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des US-Vizepräsidenten gelogen und die Justiz behindert habe. Fitzgerald war bei seinen Ermittlungen seit Dezember 2003 im Wesentlichen der Frage nachgegangen, ob die US-Administration vorsätzlich und illegal im Frühling des gleichen Jahres die CIA-Agentin Valerie Plame enttarnt hatte – oder nicht. Plame ist die Ehefrau des Ex-US-Botschafters im Irak, Joseph Wilson. Der sieht in der Enttarnung seiner Frau einen gezielten Racheakt der Bush-Mitarbeitenden wegen seiner Kritik an der Begründung für den Irakkrieg. Nach einem kritischen Artikel Wilsons in der New York Times sprachen verschiedene Bush-Mitarbeiter, darunter Karl Rove und der damalige Bush-Sprecher, Ari Fleischer, mit Washingtons Top-Politik-Reportern. In ihren Gesprächen versuchten sie, die Anschuldigungen Wilsons, die Administration habe Geheimdienstinformationen den Irak betreffend manipuliert, aus der Welt zu schaffen.

Die Untersuchung des Falls hat nun ergeben, dass als erster wohl der ehemalige stellvertretende Außenminister Richard Armitage die Identität Plames enthüllt hatte. Armitage galt ebenfalls als Kritiker des Irakkriegs. Fitzgerald sagte, die Ermittlungen wegen Plame seien mit dem Libby-Prozess beendet, es werde keine weiteren Anklagen geben.

Der Mehrheitsführer der oppositionellen Demokraten im US-Senat, Harry Reid, meinte, es sei an der Zeit, dass jemand in der Bush-Regierung für die Kampagne zur Manipulierung von Geheimdienstinformationen und Diskreditierung von Irakkriegsgegnern zur Verantwortung gezogen werde. Bush müsse jetzt versprechen, Libby nicht zu begnadigen. Libbys Anwälte kündigten Berufung an.