Abriss und Aufbruch

Kommendes Jahr wird die Kunsthalle Cottbus ihr neues Gebäude beziehen, ein renoviertes Dieselkraftwerk. Mit der Ausstellung „Aus-Räumen“ bereitet sie sich nun auf den Umzug vor

Überall fallen die Hinweisschilder auf: „Tageslicht und Kunstlicht getrennt verpacken“ oder „Zugang zur Straße stehen lassen“

VON MATTHIAS REICHELT

Das Stadtbild von Cottbus ist von Abriss und Aufbau bestimmt. Der Bahnhofsvorplatz empfängt den Reisenden mit einem nagelneuen Radisson-Hotel, nicht weit davon wird eine ganze Plattenbausiedlung demontiert. Die Stadt befindet sich in einem eigentümlichen transitorischen Schwebezustand zwischen DDR-Vergangenheit und globalisiertem Kapitalismus, der an einigen Stellen allerdings nur aus einer aufmontierten Oberfläche zu bestehen scheint. An vielen Orten im Stadtraum prallen diese Gegensätze unversöhnlich aufeinander. So wird auf einer Straßenseite im Schaufenster die Business Class angepriesen, während gegenüber in schönster Schnörkelschrift und altem Design ein Frisörladen namens „Haarmonie“ auf Kundschaft wartet.

Die vormalige Brandenburgische Kunstsammlung heißt seit 2006 „Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus“ (dkw), benannt nach der früheren Funktion des Gebäudes, das gegenwärtig umgebaut wird. 2008 kann es dann bezogen werden. Zum letzten Mal hat die nun 30-jährige Institution das alte Textilhaus, ihr bisheriges Quartier inmitten einer im üblichen Stil sanierten und deshalb ziemlich uniformen Fußgängerzone, für eine Ausstellung genutzt. Jörg Sperling, der Kurator des Museums, macht den Ortswechsel und den kommenden Auszug zum Thema und vereint im Keller und den beiden darüber liegenden Stockwerken unter dem Motto „Aus-Räumen“ zehn unterschiedliche künstlerische Positionen.

Wäre nicht das große Transparent des dkw über die Fußgängerzone gespannt, könnte man leicht an den mit gleichen Plakaten zugeklebten Schaufenstern vorbeilaufen, im Glauben, es handle sich um einen der üblichen, vor der Öffentlichkeit abgeschotteten Ladenumbauten. Allerdings besitzen die Plakate jeweils im Zentrum eine Öffnung und verleiten die Passanten zum Spionieren. Bettina Allamoda, von der diese Arbeit stammt, ließ sich von Jean Nouvels Ornament-Fassade für das Institut du Monde Arabe in Paris inspirieren. Die Fenster an der Südfassade des Baus hat Nouvel mit kreisförmigen Sonnenblenden ausgestattet, die sich zu einem Rosettenornament fügen. Allamodas Arbeit basiert auf der Dialektik zwischen Abweisung und Neugier, Transparenz und Verbergen.

In allen Stockwerken fallen die Hinweisschilder mit dem „dkw“-logo für „alle Umzugshelfer“ auf. Sie funktionieren so gut, dass sie anfangs übersehen werden. „Tageslicht und Kunstlicht getrennt verpacken“, „Zugang zur Straße stehen lassen“ und ähnliche aberwitzige Anweisungen erinnern an den anarchischen Humor Karl Valentins und stammen von Rolf Wicker. Der in Berlin-Kreuzberg lebende Maler Ulrich Diezmann fertigt während der Öffnungszeiten als work in progress ein temporäres Landschaftsgemälde, das im Lauf der Ausstellung eine Modifizierung erfährt und zum „Last Waltz“, der für den 30. Juni angekündigten Finissage, mit weißer Farbe übertüncht wird. Die Flüchtigkeit des Werkes verweist auf die Endlichkeit der Raumnutzung und wird dennoch als verborgene Schicht in die Geschichte des Hauses eingeschrieben sein, dessen weitere Nutzung noch nicht geklärt ist. Im Kellergeschoss sind die architektonischen Entwürfe und Nutzungskonzepte von Studenten der ortsansässigen Technischen Universität zu sehen, die sich sehr zeitgeistig für eine Kombination aus Cocktailbar, Lounge und Modehaus starkmachen.

Die zeitgenössische Kunst hat in Cottbus keinen leichten Stand, wie Jörg Sperling bestätigt. Die gegenwärtigen Probleme mit Arbeitslosigkeit und Hartz IV sind der Bevölkerung näher als die Kunst. Mit den zukünftigen größeren Räumen verspricht sich das Museum eine bessere Wirkungsmöglichkeit auch über die Stadt- und Landesgrenze hinaus. Eine liebevolle Hommage an die Arbeit des Museums und das bald der Vergangenheit angehörende Haus hat Thomas Kläber mit seiner Fotoserie „Zwei Blicke zurück, einen voraus“ geschaffen, die das Museum auch in ganz flüchtigen und scheinbar belanglosen Motiven als komplex strukturierten Arbeitsplatz zeigen.

In Elvira Hufschmids Videoprojektion „Mall/Einkaufspassage“ von 2003 widersteht eine Frau der Aufforderung zum Konsum, dem schnellen wareprüfenden Blick und der zielgerichteten Bewegung und verharrt stattdessen durch Rückwärtsschritte als Einzige am selben Punkt einer Rolltreppe, inmitten des fortwährenden Stroms vorbeihastender und tütenbepackter Kunden.

Innehalten und Verharren kommt der Tätigkeit bei einem Museumsbesuch sehr nahe, wo Kunst zur Reflexion über den Stand der Dinge auffordert. Wie vielschichtig dies sein kann, macht Matthias Geitel mit seiner Installation „Es war einmal“ sinnfällig klar. Zinkdruckplatten, die der in Berlin lebende Künstler 1996 im früheren Grenzareal Dreilinden fand, formte er an der Wand zu dem bekannten Eingangssatz vieler Märchen und erinnert damit an eine vergangene Drucktechnik, an die in den Platten gespeicherten Bilder, die Geschichte der Teilung und ebenso an das Ende dieses Kunstortes. Einen unbeabsichtigten Abriss ganz eigener Art hat der 1964 in Potsdam geborene Jörg Schlinke zur Ausstellung beigetragen. Zur Ausstellungseröffnung zündete er in einem an der Wand befestigten Glaskasten eine Silvesterrakete, deren Flugbahn in ein chaotisches Hin und Her im begrenzten Raum hätte münden sollen. Offenbar hat der Künstler die Energie der Rakete unterschätzt, die den Kasten sprengte und von der Wand riss. Das Scheitern der Kunst als Chance für das Museum, denn Scherben bringen Glück.

Bis 24. Juni, www.museum-dkw.de