Für mundfaule Buddhisten

Das Internet hat einiges zu bieten. Mit dem Memorieren von Mantren sorgt der heimische PC zum Beispiel dank der Webseite „Meditation for avatars“ für mehr positive Energie. Das Oldenburger Edith-Russ-Haus fragt nach den Möglichkeiten des Web 2.0

Haben Computer ein Bewusstsein? Die alte Frage hat sich eigentlich erübrigt, meint die Künstlerin Ute Hörner. Denn sie können ihr Bewusstsein sogar steigern – dank Meditation. Stunden- und tagelanges Wiederholen der selben Aufgabe, das ist die Stärke von Maschinen. Warum also soll der gestresste Web-User nicht ihnen die müheselige Aufgabe des Betens übertragen? Mit dem Memorieren von Mantren sorgt der heimische PC dank der Webseite „Meditation for avatars“ von Ute Hörner und Mathias Antlfinger für mehr positive Energie im Netz. Kein Haken dabei: Schließlich haben Buddhisten schon immer Gebetsmühlen mit rotierenden Textsteifen genutzt, um den Gläubigen die Beschäftigung mit komplizierten Texten zu ersparen. „Ein Besucher unserer Webseite beschwerte sich, dass das zynisch sei“, sagt Ute Hörner. „Aber der entpuppte sich als Protestant.“ Der Dalai Lama persönlich hingegen habe Computerandachten der klassischen Offline-Meditation gleichgestellt.

Das Edith-Russ-Haus für Medienkunst erkundet in der Ausstellung „My Own Private Reality“ zehn Jahre Netzkultur im Spiegel künstlerischer Auseinandersetzung. Folgt man der Typologie von Gast-Kuratorin Sarah Cook, dann handelt es sich bei dem Meditations-Projekt von 2006 um ein beinahe rührend altmodisches. In den zehn Jahren, in denen sich im Internet immer mehr Möglichkeiten zum Mitmachen, zur Selbstdarstellung und Vernetzung ausgeprägt haben, sei es für Künstler zunehmend unattraktiver geworden, eigene Webseiten zu präsentieren. Je technisch anspruchsloser das Produzieren und Hochladen von Bildern, Filmen, Musik im Web 2.0, dem Mitmach-Internet, desto reizloser für Künstler. Aufregender als die eigene Web-Seite, meint Museumsleiterin Sabine Himmelsbach, sei heutzutage die Präsenz in Online-Communities wie Myspace, Xing oder Friendster. Künstler kopieren die Netzwerk-Ideen für eigene, subversive Projekte. Bei „Myfrienemies“ von Angie Waller etwa finden Nutzer nicht durch gemeinsame Freunde, sondern durch ihre Feinde zusammen. Wer meint, unter Beschreibungen wie „aggressiv“ oder „konfliktscheu“ seinen Nachbarn erkannt zu haben, kann sich mit anderen Hassern dieses unliebsamen Zeitgenossen zusammentun. Vielleicht gar nicht so schwierig, denn nach einer bekannten Community-Weisheit soll schließlich jeder Weltbürger jeden anderen um sechs Ecken kennen.

Mit der überraschend raumgreifend gestalteten Ausstellung ist erstmals auch Malerei im Medienkunsthaus zu sehen – im Dienst der Nostalgie. Denn rasend schnell verwandelt das Internet Trends in Kult, in kollektives Gedächtnis, in Geschichte. Liebevoll hat Nick Crowe schon 1997 die Screenshots einer privaten Webseite in Glas geritzt. Da zeigt eine Mutter der damals noch überschaubaren Web-Community ihre strahlende Familie. „Heute wirkt das wie Denkmal“, sagt Sarah Cook. Überhaupt: Bei näherem Hinsehen erweist sich das Web 2.0 ganz unfuturistisch als Fundgrube, um im kollektiven Gedächtnis seiner Generation zu graben – sei es, um die Playmobil-Sammlung bei Ebay zu vervollständigen oder alte Sesamstraßen-Clips auf Youtube zu suchen. Dem tragen Humanbeans mit ihrem Video-Kochbuch „What’s Cooking Grandma“ Rechnung. Jeder, der die Kochkunst seiner Oma den Jüngeren erhalten will, kann hier ein Video von ihr in Aktion hochladen.

Unter die Haut geht, wenn die virtuelle nahtlos in die greifbare Realität übergeht. Die serbische Künstlerin Tanja Ostojic hat im Netz nach einem Ehemann mit EU-Pass gesucht. Unter 500 Bewerbern vom schmierigen Bodybuilder bis zum sanften Bierbauchträger hat sie einen ausgewählt und aus der Hochzeit und Scheidung akribisch dokumentierte Happenings gemacht. Ein lakonischer Kommentar nicht nur zu den Hoffnungen, die arme Frauen aus aller Welt auf die Kontaktmöglichkeiten des Netzes setzen, sondern auch zum naiven Exhibitionismus der User. ANNEDORE BEELTE

Bis 1. Juli, www.edith-russ-haus.de