„Der Mann hat eine Kernschmelze im Kopf“

NEGATIV-UTOPIE Der Journalist und Romanautor Dirk C. Fleck entwarf vor 18 Jahren die Vision einer Ökodiktatur. Steuern wir darauf zu?

■ Jahrgang 1943, Autor und Journalist. 1993 schrieb er den Science-Fiction-Roman „Go – die Ökodiktatur“: Eine Welt, in der Öko zum Zwang wird. Foto: privat

taz: Herr Fleck, 1993 erschien Ihr Buch „Go - die Ökodiktatur“ - was hat Sie damals bewegt, dieses Buch zu schreiben?

Dirk C. Fleck: Ich wollte aufzeigen, was mit einem Staat passieren kann, dessen Wirtschaft erkennbar an die Grenzen der Ressourcen geht. Wie sieht wohl ein politischer Notwehr-Reflex aus? Die Folge kann nur sein, dass der Staat seine Bevölkerung in Geiselhaft nimmt und sie nach rigiden Grundgesetzen regiert. Damit sorgt er dafür, dass sich die Erde wieder regeneriert. Das ist natürlich kein positives System.

Grüne Themen sind heute präsenter. Sind wir Ihrer Negativ-Utopie nähergekommen?

Ja, de facto schon. Aus der drohenden Ressourcenknappheit resultieren Verteilungskämpfe. Diese begünstigen die Entwicklung hin zu einer Ökodiktatur. Menschen in Südamerika, Afrika und Indien, die am Existenzminimum leben, sind mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Denen können Sie nicht mit Umweltschutzgedanken kommen. In Deutschland hat sich der Umweltschutzgedanke in den vergangenen 18 Jahren enorm verbreitet. Das ist positiv anzumerken. Gleichzeitig aber schreitet der Raubbau an der Umwelt weiter voran. Das heißt, die Ökodiktatur brocken wir unseren Kindern gerade ein, das ist leider so.

RWE-Chef Jürgen Großmann warnt vor einer Ökodiktatur in Deutschland. Sie wären also einer Meinung? Bei Großmann ist das politische Erpressung par excellence. Der Mann hat eine Kernschmelze im Kopf. Großmann setzt den Atomausstieg gleich mit der Vernichtung der Demokratie und warnt deswegen vor einer Ökodiktatur. In Wirklichkeit sind es aber die Global Player, die heute schon eine weltweite Wirtschaftsdiktatur ausüben.

Wie entwickelt sich ein Land zur Ökodiktatur?

Sie wird nicht wie eine Revolution über uns kommen. Vielmehr führt das bestehende System schrittweise diktatorische Strukturen ein: Es beschneidet demokratische Freiheiten und hält an veralteten Technologien fest. Es erklärt politische Entscheidungen für alternativlos und verhindert damit, was wir eigentlich bräuchten: Eine echte Systemänderung, die auf Klimaprobleme angemessen reagiert. Dazu ist unsere Demokratie aber nicht fähig.

Sie halten uns also für demokratieunfähig?

Ich würde sogar behaupten, dass wir schon in einer verschleierten Diktatur leben. Demokratische Entscheidungen sind oft langwierige Prozesse. Jeden Tag gibt es neue Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Unsere Demokratie kommt mit dem Tempo gar nicht mehr mit. Außerdem ist der Wähler an sich oft sehr manipulierbar und nicht ausreichend informiert. Jede politische Diskussion, die nicht wirklich an die Wurzel geht und die eine Bereitschaft zur Radikalität ablehnt, ist überflüssig.

Wo sehen Sie einen Ausweg?

Ich glaube, dass es nur einen einzigen Weg gibt. Jeder sollte sich bewusst machen, dass unser Dasein schon ein großes Wunder ist. Leider wertschätzen wir dieses Wunder nicht genug. Es reicht nicht, vegetarisch zu leben und kein Auto mehr zu fahren. Was wir brauchen ist ein Bewusstsein für unsere Umwelt. Je mehr Leute so denken, desto größer ist die Chance für Veränderung. Da sehe ich die wahre Revolution.

INTERVIEW UND TEXT ANNE ERWAND,
LARISSA KRÜGER, VALENTIN NIEBLER,
SIMA FAZLALI SERKANI, JUDITH PAPE,
ALEXANDER DRÖßLER