Straßenstrich wird zum heißen Pflaster

Ab dem kommenden Jahr machen sich Kunden von Prostituierten in Norwegen strafbar. Vorbild ist eine entsprechende Regelung in Schweden. Kritiker des neuen Gesetzes befürchten eine Verschlechterung der Lage von Sexarbeiterinnen

VON REINHARD WOLFF

Ab dem kommendem Jahr macht sich in Norwegen strafbar, wer sexuelle Dienste von einer Prostituierten kauft. Nach einer jahrelangen Debatte kam jetzt die erforderliche Parlamentsmehrheit für ein solches Gesetz zustande, nachdem die größte Partei des Landes, die sozialdemokratische Arbeiterpartei auf ihrem jüngsten Parteitag ihre bisherige Haltung zu dieser Frage änderte. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg versprach, den Mehrheitsbeschluss umgehend in einen entsprechenden Gesetzentwurf umzusetzen. Die Koalitionspartner seiner Regierung, die Linkssozialisten und die liberale Zentrumspartei waren bereits vorher auf Verbotskurs gegangen. Dem hatten sich die oppositionellen Christdemokraten angeschlossen.

Die vor allem von verschiedenen Frauenorganisationen und den Frauenverbänden mehrerer Parteien betriebene Kampagne für ein Sexkaufverbot nach schwedischem Muster hatte in den vergangenen Monaten wachsende Unterstützung gefunden. Ein möglicher Zusammenhang: eine massiv ansteigende sichtbare Straßenprostitution in der Hauptstadt Oslo und anderen größeren Städten. Und viele Berichte in den Medien über Menschenhandel mit in offenbar organisierter Form aus Osteuropa und Westafrika nach Norwegen eingeschleuster Frauen.

Der sozialdemokratische Justizminister Knut Storberget muss nun gegen seine eigene Überzeugung das Gesetz formulieren. Er hatte dem Parteitag zu vermitteln versucht, dass ein Sexkaufverbot die falsche Reaktion sei. Viel wichtiger wäre der Aufbau polizeilicher Spezialkompetenz, ein gezieltes Vorgehen gegen das Trafficking und Hilfe für die betroffenen Frauen. Und auch Gleichstellungsministerin Karita Bekkemellem hat Zweifel. Sie glaube nicht, dass ein Verbot den Frauen wirklich helfe. Bislang ist in Norwegen Prostitution erlaubt und nur Zuhälterei strafbar.

Die Argumente pro und contra ein Verbot knüpfen im wesentlichen an die Debatte an, die im Zusammenhang mit der Einführung eines Sexkaufverbots im Nachbarland Schweden geführt worden war. Und an die Erfahrungen, die man dort mittlerweile gemacht hat. In Schweden ist seit 1999 der Kauf von Diensten einer Prostituierten strafbar. Doch es herrscht Streit darüber, welche praktische Wirkungen das Gesetz entfaltet hat. Die sichtbare Straßenprostitution auf den Straßenstrichen in Stockholm, Göteborg und Malmö war dort nach dem Verbot zunächst fast gänzlich verschwunden, hatte sich aber schnell wieder etabliert. Verglichen mit der Zeit vorher ist sie nach Schätzung der Polizei um etwa ein Drittel zurückgegangen.

Grund hierfür ist nach den meisten Untersuchungen, die es zum Thema gibt, einerseits die Tatsache, dass die Polizei zwar ab und an Razzien macht, aber erklärtermaßen keine Ressourcen dafür aufwenden kann, den Straßenstrich umfassend zu überwachen.

Das Sexkaufverbot ist für einen größeren Kundenkreis offenbar auch deshalb nicht allzu abschreckend, weil selbst im Fall einer Strafverfolgung und Verurteilung nur relativ geringe Geldstrafen drohen. 95 Prozent der Ermittlungsverfahren werden eingestellt und es kommen jährlich nur einige dutzend Fälle vor die Gerichte.

Janni Wintherbauer, Vorsitzende der „Interessenorganisation der Prostituierten in Norwegen“ (Pion) hält das Verbot für „naiv“ und wirft den PolitikerInnen vor, auf das zunehmende Trafficking mit Panik zu reagieren. Die Frauen würden nun von der Straße weg und in den Untergrund gezwungen, was ihre Situation noch schwerer und angesichts gefährlicher Kunden unsicherer mache.

Die norwegische Bevölkerung ist in ihrer Haltung gespalten. Nach einer aktuellen Umfrage unterstützen 42 Prozent ein Sexkaufverbot, während 37 Prozent für die Einrichtung öffentlich kontrollierter Bordelle sind.