Schularbeit und Struktur

ALTERNATIVE SCHULEN Eine Umfrage unter Schülern an freien Schulen zeigt: Sie schätzen zwar das selbstständige Lernen und ihre Freiheiten, manche fühlen sich aber auch unterfordert. Jeder vierte nimmt Nachhilfe in Anspruch, jeder zweite wünscht sich Zensuren

Beim Bundestreffen in Dresden wurden die Ergebnisse der Studie heiß diskutiert

VON MICHAEL BARTSCH

Schüler an freien Alternativschulen fühlen sich zwar ausgesprochen wohl, sie schätzen ihre Lehrer und ihre Freiheiten. Dennoch wünschen sie sich teilweise mehr Struktur und Herausforderung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der freien Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft bei Bonn, durchgeführt von Dirk Randoll.

Die Ergebnisse der noch nicht ganz ausgewerteten Studie wurden am vergangenen Wochenende auf dem Bundestreffen Freier Alternativschulen in Dresden vorgestellt und heiß diskutiert. Ihr liegen Antworten von rund 900 Schülerinnen und Schülern der Klassen sieben bis zehn zugrunde – das ist fast ein Sechstel der Kinder, die bundesweit an Alternativschulen lernen.

Zu den Alternativschulen zählen Schulen mit einem besonderen pädagogischen Konzept. Sie haben den Anspruch, das Lernen anders zu organisieren als an Regelschulen. Die Alternativschulen werden vorwiegend von freien Trägern geführt, einige befinden sich auch in kommunaler Obhut. Nach Angaben des Bundes freier Alternativschulen besuchen derzeit 6.300 Schüler eine solche Schule. Etwa 100 dieser Schulen sind heute Mitglied im Bundesverband Freier Alternativschulen.

Die 1995 als Grundschule und 2006 als Mittelschule genehmigte Alternativschule in Dresden konnte nach mehreren Umzügen vor zwei Jahren einen schmucken Neubau beziehen. Dort fand in diesem Jahr das Bundestreffens statt.

Es ist die erste umfassende Befragung unter Schülern, die eine solche Schule besuchen. Der Erziehungswissenschaftler Dirk Randoll und seine Ko-Autorin Ines Graudenz betonen, dass sie die Schüler unabhängig von den Eltern abgefragt haben. Das gilt auch für die Frage nach den Motiven, die zur Wahl einer Alternativschule geführt haben. Nur 38 Prozent der Schüler haben dort von der ersten Klasse an angefangen. Die meisten sind von staatlichen Schulen aus höheren Klassenstufen an eine solche Schule gewechselt. Ein Drittel der Befragten gab als Grund für den Wechsel an, schlechte Erfahrungen an den staatlichen Schulen gemacht zu haben.

Am meisten schätzen die Schüler an einer freien Alternativschule das Lernen ohne Leistungsdruck. Fast 70 Prozent der Befragten gaben das als größten Vorzug an, als weitere Pluspunkte wurden größere Freiheiten und Mitspracherechte genannt. Die Schüler gaben an, dass sie an ihren Alternativen Schulen dazu ermutigt würden, ihre Meinung zu äußern und im eigenen Tempo zu lernen. Viele heben auch den demokratischen Geist und den gegenseitigen Respekt an ihren Schulen hervor. Nur einem Fünftel war es hingegen wichtig, dass keine Noten verteilt werden.

Als sehr positiv sehen die Schüler auch das Verhältnis zu ihren Lehrern an. Viele haben Vertrauen zu ihren Lehrern, gaben sie in der Befragung an. Die große Mehrheit ist außerdem der Ansicht, dass Lehrer offen und kritikfähig seien und sich sich darum bemühten, die Schüler ernst zu nehmen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Rund 80 Prozent glauben auch, dass die Lehrer nicht nur kompetent, sondern auch an ihrem Lernfortschritt interessiert sind. An staatlichen Schulen sagt das nur ein Drittel der Schüler, führt Dirk Randoll zum Vergleich an.

So ist es im Ergebnis auch nicht überraschend, dass über 90 Prozent der Befragten angaben, sich an ihrer Schule wohl zu fühlen, und 80 Prozent bekannten, sie würden wieder auf ihre Schule gehen wollen, wenn sie vor der Wahl stünden. Und: Währen bei den Freien Alternativschulen fast drei Viertel der Schüler positiv gestimmt zum Unterricht geht, ist es an staatlichen Regelschulen nur jeder Zweite.

Nach Eltern und Peergroups wird auch der Einfluss einer Freien Alternativschule auf die Persönlichkeitsentwicklung vergleichsweise hoch eingestuft. Schulprobleme treten deutlich weniger häufig auf, als sie von staatlichen Schulen bekannt sind. Doch es ist auch nicht alles eitel Sonnenschein: immerhin jeder Fünfte klagt über psychosomatische Beschwerden, und jeder zehnte Schüler einer Alternativen Schule hat auch schon einmal Erfahrungen mit Beleidigungen und Mobbing gemacht. Diese Zahlen sorgten bei den engagierten Pädagogen beim Bundestreffen für einiges Stirnrunzeln. „Wie kommt man auch an diese Schüler heran?“, fragten sie sich.

Bei aller Selbstständigkeit, die an alternativen Schulen so hochgehalten wird, bleibt aber auch festzuhalten, dass die Schüler der Person ihres „Lernbegleiters“ nach wie vor die höchste Bedeutung zumessen. 70 Prozent gaben an, vor allem durch die Erklärungen des Lehrer zu lernen. Fast die Hälfte möchte vom Lehrer gesagt bekommen, was zu tun ist, und ebenso viele wünschen sich mehr Orientierung und Struktur. Dazu gehört für sie auch, ab der sechsten Klasse Noten zu vergeben – 47 Prozent würden das bevorzugen würden. Ein Widerspruch zur viel beschworenen Selbständigkeit? „Keine Freiheit ohne Ordnung“, kommentierte ein Lehrer die Befunde.

Daran scheint es manchen allerdings zu fehlen. Denn ein Drittel der befragten Schülerinnen fühlt sich sogar unterfordert und glaubt, dass man an einer Alternativschule zu wenig lerne. Sie beschwerten sich über Langeweile, zu wenig Druck und zu viele Freiheiten. Drei Viertel meinen von sich, sie könnten ehrgeiziger sein und mehr als 83 Prozent finden es wichtig, Leistungen zu erbringen. Außerdem nimmt jeder vierte Schüler Nachhilfe in Anspruch – besonders in Mathe, Deutsch und Englisch.

Nur die Hälfte der Schüler möchte Abitur machen, fast ein Viertel strebt die Mittlere Reife an. Das entspricht auch den Wünschen, die Schüler an staatlichen Schulen äußern.

Die durchaus widersprüchlichen Ergebnisse der Studie wurden in Dresden heftig diskutiert. Auch Kritik an der Fragestellung wurde laut: So relativiere sich der Leistungsbegriff allein schon deshalb, weil man seinen Neigungen und Stärken in besonderer Weise nachgehen kann, wandten die einen ein. Auch, dass Schüler sich unterfordert fühlten, wollten manche Pädagogen so nicht hinnehmen. Das relativiere sich doch mit dem Alter, meinten sie.