Gelobt sei das Weichtier

Ausgerechnet die Qualle wird zur Metapher für zeitgenössische Fotografie und dient als Motto einer Ausstellung. Das Museum Ludwig in Köln präsentiert wieder seinen wachsenden Foto-Bestand

AUS KÖLN KATJA BEHRENS

Die von Barbara Engelbach im Kölner Museum Ludwig kuratierte Ausstellung zur künstlerischen Fotografie seit 1960 hat einen seltsamen Titel. „What does the jellyfish want?“ stellt in gewisser Weise die Fortsetzung der Ausstellung „Facts-Tatsachen“ dar, die im Sommer letzten Jahres den Kauf der Sammlung des Agfa Foto-Historama mit einem Überblick über die Entwicklung der Fotografie von den Anfängen bis in die 1950er Jahre feierte.

Bereits Mitte der 1970er Jahre hatte das Museum Ludwig als eines der ersten begonnen, historische und zeitgenössische Fotografie zu erwerben und dabei Pionierarbeit geleistet. Grundstock der Fotosammlung waren der Ankauf von knapp 900 Fotografien der Sammlung Gruber, dazu 200 Arbeiten als Stiftung der Sammler, und der Erwerb zentraler Positionen mit Arbeiten von Douglas Huebler, Bernd und Hilla Becher, Bruce Nauman oder Gordon Matta-Clark. Seither wächst die Sammlung beständig.

Denn der Auftrag zur musealen Sammlung und ihrer Vermittlung ermuntert offenbar zu einem mehr gezielten Ankauf wichtiger Werkkomplexe, die spezifische historische, künstlerische, konzeptuelle Entwicklung des Mediums Fotografie veranschaulichen können. „Da bietet die Konzentration auf das Fotografische die Chance, den Blick auf ein Leitmedium der aktuellen Kunst zu lenken, das auf vielfältige Weise neue künstlerische Impulse setzt“, sagt Museumsdirektor Kaspar König.

Die Aufnahme in den Kanon der Künste und die institutionelle Sanktionierung der Fotografie spielten auch für ihre spätere Wertschätzung eine wichtige Rolle – und erwiesen sich als weitsichtig. In der Tat: Der Besuch der Ausstellung ist weit mehr als die noch so intensive Lektüre eines Überblicksbandes zur Fotogeschichte. Denn erst in der kuratorischen Vermittlung, durch die thematische Gruppenbildung weitet sich der Blick auf Reichtum und Reichweite des Mediums aus. Selbst wenn der Besucher viele der Werke bereits kennt. Klug zusammengefasst offenbaren die Fotografien der Kölner Schau über die Jahrzehnte ihrer Entstehung hinweg auch ihre Verwandtschaft, ihre Differenzen und ihre Einflüsse. Von der konstruktivistischen, der surrealistischen und der dokumentarischen Fotografie der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts mit Laszlo Moholy- Nagy, Man Ray und August Sander reicht der Bogen über die Aktions- und Konzeptkunst der 1970er Jahre bis zur vielschichtigen aktuellen Produktion.

Darunter auch Valie Exports unvergessenes „Tapp und Tast Kino“, eine Aktion, bei der die Künstlerin 1968 mit einem umgeschnallten Karton vor der nackten Brust, Passanten auf der Straße einlud, für eine halbe Minute ihre Brüste zu fühlen. Ebenso wenig fehlt David Wojnarowicz‘ Bilderserie „Arthur Rimbaud in New York“, für die er (in der Rolle des Dichterfreundes Paul Verlaine) seinem als Rimbaud maskierten Freund in eine heruntergekommene urbane Szenerie folgt. Sie war allerdings schon im vergangenen Sommer in der Ausstellung „Das achte Feld“ in Köln zu sehen.

Sowohl die ausgestellten Werke als auch die Dialoge, in die sie treten, sind erhellend: Robert Adams mit William Eggleston über den amerikanischen Westen, die porträtierten Menschen und ihre mediale Repräsentation bei Sanja Ivekovic, Jitka Hanzlová und Stephen Willats oder die Bilderreihen und Fotosequenzen von Gabriele und Helmut Nothelfer, Joachim Brohm und Boris Mikhailov, die die Realität abzubilden versuchen. Das sind spannende Verknüpfungen und selbst die Präsentationsformen erzählen vom Wandel der Zeit: Vergleicht man die präzisen und handwerklich perfekten Bilderrahmen der Becher-Schüler mit denjenigen, die ihre Lehrer für die eigenen Fotografien zwanzig Jahre früher auswählten, wird der Anspruch deutlich, den die erfolgreichen Fotokünstler der inzwischen mittleren Generation an die Ästhetik und Präsentation ihrer Bilder heute stellen.

Und was sagt uns der seltsame Titel? „What does the jellyfish want“ – diese Frage warf der amerikanische Foto Künstler Christopher Williams während eines Interviews auf, als er erläuterte, warum ihn das Meerestier so fasziniert: Ohne Form, ohne Skelett, ohne Geschlecht sei die Qualle eben ein Wesen ohne Eigenschaften.

Bis 15. Juli 2007 Infos: 0221-22126165