Extremshopping auf zwei Rädern

Leute, erledigt den Einkauf mit dem Fahrrad, wirbt der Umweltverband BUND – und kritisiert die „extrem schlechte“ Situation in Einkaufsstraßen. Zu Recht. In Neukölln gerät das umweltfreundliche Shoppen schnell zum Abenteuer. Ein Leidensbericht

von CLAUDIUS PRÖSSER

Gut, dass es Karstadt gibt. Nicht dass ich hier Werbung machen wollte. Um das Lob gleich abzuschwächen: Eigentlich ist mir Karstadt zu teuer, und mit den Bäckerei-Produkten kann man Vegetarier zum Fleischverzehr bekehren. Aber wenn ich nach Feierabend mein Neuköllner Zuhause mit dem Fahrrad ansteuere und noch einen Liter Milch brauche, führt an Karstadt Hermannplatz kein Weg vorbei. Es ist der einzige Laden weit und breit, wo Radfahrer kommod parken können: Man rollt auf den Hof, schließt das Veloziped unter dem Regendach an und betritt auf direktem Wege – über die gastronomische Hintertreppe sozusagen – die Lebensmittelabteilung. Nur einmal kam ich in Bedrängnis: Beim Verlassen der Ausfahrt war mein Anhänger breiter als der Abstand zwischen den Edelstahlpollern. Die negative Beschleunigung hob mich bäuchlings auf den Lenker.

Auch sonst ist Einkaufen mit dem Rad in Neukölln ein halsbrecherisches Vergnügen. Schon weil man Straßen befahren muss, in denen man sich fühlt wie eine Eintagsfliege auf einem Nashornkäferpfad. Einem unsicheren Radler würde man von Sonnenallee, Karl-Marx- und Hermannstraße dringend abraten. Mit Uwe-Karsten Heye gesprochen: Er könnte nicht lebendig ankommen. Kein Radstreifen, nirgends, dafür BMWs mit wummernden Bässen, Gelenkbusse und dröhnende Sattelzüge, die im Minutentakt Megaläden wie „Kaufland“ in den „Neukölln Arcaden“ versorgen.

Vor den „Arcaden“ hat man tatsächlich Fahrradbügel ins Trottoir betoniert. Leider reichen die nie, weshalb auch die ranzigen Drängelgitter an der Kreuzung voller Räder hängen – und Radleichen. Einmal bekniete ich das Ordnungsamt, wenigstens die schlimmsten Rostskulpturen zu entfernen, weil sie a) fies aussehen, b) meinem Rad den Platz stehlen und c) bekanntlich zu Vandalismus anregen. Das klappte sogar – nach einem Dutzend Telefonaten. An den „Arcaden“ gibt es übrigens einen kostenlosen Bewacherservice, ausgestattet mit Hunden, Schwarzem Krauser und Flaschenbier. Da nimmt man auch weiträumig verstreute Scherben in Kauf.

Wahren Kitzel bietet erst der Heimweg: Mit dem ob der Last leicht schwankenden Gefährt rolle ich auf der Karl-Marx-Straße in die Linksabbiegerspur. Jetzt rauscht der Verkehr knapp an meiner rechten Schulter vorbei. Ein ungutes Gefühl, wenn man die Balance mit einem Zeh hält.

Nur fürs Protokoll: Der nächste Radweg verläuft weit weg an der Weserstraße. Er gleicht einer Reliefkarte der Alpen und wird alle hundert Meter von einer Seitenstraße unterbrochen. Dass hier „rechts vor links“ gilt, ist egal: Die kreuzenden Straßen sind ohnehin mit klobigem Kopfsteinpflaster belegt.

Richtig kriminell wird’s mit Kind im Anhänger. Abgesehen von der schlechten Luft in Auspuffhöhe – jeder 30-Tonner, der im Zentimeterabstand vorbeizieht, zwingt zum reflexartigen Schulterblick: Alles noch dran?

Dass auch mal was abhanden kommt, ist – so viel Selbstkritik muss sein – oft die Schuld von uns Radlern. Korb vergessen? Wird die Tüte halt irgendwie mit dem Spanngummi festgezurrt. Das geht selten gut. Einmal traf ich bei Bauhaus einen Freund, der sich anschickte, einen 10-Liter-Eimer Wandfarbe auf dem Gepäckträger nach Hause zu transportieren. Ob das klappt?, fragte ich. Das klappt, antwortete er, und der Eimer fiel auf den Parkplatz. Wir schöpften minutenlang sämiges Weiß, um zu retten, was zu retten war. Den Fleck erkennt man noch nach Jahren.