Krieg der Patente

Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm soll es um strengere Patentrechtsregelungen gehen. Das fördert nicht nur Armut und Abhängigkeit, sondern behindert auch die Forschung

Thomas Gebauer ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international, die mit anderen NGOs am 10. Mai in Berlin das Symposium „Patienten, Patente und Profite“ veranstaltet. Infos: www.medico-tagessymposium.de

Der G-8-Gipfel in Heiligendamm findet erst im Juni statt. Doch schon jetzt vergeht kaum ein Tag, an dem in Vorbereitungskonferenzen nicht über Themen wie Armutsbekämpfung, Aids, den Klimaschutz oder Afrika geredet wird. Zu den wirklich harten Themen, die im Juni verhandelt werden, gehört eines, das auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkt. Doch es betrifft in Wirklichkeit fast alle Lebensbereiche: Gemeint ist der Schutz geistiger Eigentumsrechte.

Ums Patentrecht geht es auch auf dem „European Patent Forum“, das gestern in München begann. Hauptrednerin ist Angela Merkel, die ihre Absichten schon im Vorfeld deutlich gemacht hat: Gemeinsam mit den USA will die deutsche Bundeskanzlerin den G-8-Gipfel nutzen, um auf eine globale „Harmonisierung des Patentrechts“ zu drängen. Ohne strengeren Patentschutz gebe es keine Innovation und ohne Innovation kein Wirtschaftswachstum, so lautet ihr Glaubensbekenntnis.

Die Industrie macht Druck – allen voran die mächtige Pharmalobby, die bereits von einen Krieg um die Patente spricht. China drohe Europa den Rang in den Biowissenschaften abzulaufen, wird lautstark gewarnt. Und: Deutschland, das aufgrund seiner Pionierleistungen auf diesem Gebiet einmal als „Apotheke der Welt“ gegolten habe, habe seine Position längst eingebüßt.

Zustimmung bekommt Angela Merkel aber auch aus der Öffentlichkeit. Unwidersprochen macht die Behauptung die Runde, dass in modernen „Informationsgesellschaften“ Einkommen und Existenz nur über die Kontrolle von Wissen zu sichern seien. Doch was wie eine ökonomische Zwangsläufigkeit erscheint, ist in Wirklichkeit ein Resultat der neoliberalen Umgestaltung der Welt. Zug um Zug ist öffentliches Wissen privatisiert und sind essenzielle Sphären des Lebens wie Gesundheit, Ernährung oder Biodiversität handelspolitischen Strategien unterworfen worden. So liegt das eigentliche Problem bei der „Harmonisierung des Patentschutzes“ darin, dass dem Rest der Welt ein System aufgenötigt werden soll, das sich im Sinne des Allgemeinwohls längst als untauglich herausgestellt hat.

Jedes Jahr sterben 20 Millionen Menschen an Krankheiten, die eigentlich behandelbar wären. Sie sterben, weil Patente den Pharmakonzernen ein De-facto-Monopol sichern und somit dafür sorgen, dass selbst lebensnotwendige Medikamente unerschwinglich teuer bleiben – oder gar nicht erst entwickelt werden.

Erforscht wird nämlich nur, was eine zahlungskräftige Kundschaft findet. Auf paradoxe Weise schließt eine Gesundheitsforschung, deren Anreiz allein die Aussicht auf ein Patent ist, genau jene Menschen vom Zugang zu Arzneimitteln aus, die sie am dringendsten benötigten. Nicht einer Medizin gegen Tuberkulose widmet die Industrie gegenwärtig ihren größten Forschungsehrgeiz, sondern solchen Lifestyle-Präparaten wie Mitteln gegen Haarausfall oder Dickleibigkeit. Ohne eine grundlegende Änderung des bestehenden Forschungsmodells werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt als Impfstoffe gegen HIV/Aids.

Dennoch will Merkel beim G-8-Gipfel die Weichen für mehr und strengere Patente stellen. Das 1994 getroffene „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (Trips) geht Washington und Berlin offenbar noch nicht weit genug. Dabei sagte der frühere Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, „tausende von Menschen in den ärmsten Ländern“ seien damit „zum Tode verurteilt“ worden.

Wie prekär bereits die bestehenden Regelungen sind, zeigen die weltweit entbrannten juristischen Auseinandersetzungen um Pharmapatente: So klagt der Schweizer Pharmakonzern Novartis gegen das indische Patentrecht, das die Interessen der heimischen Patienten noch nicht vollends abgeschrieben hat. Das amerikanische Konkurrenzunternehmen Abbott weigert sich, in Thailand Arzneimittel zu verkaufen, weil die dortige Regierung in Übereinstimmung mit Trips eine Zwangslizenz zur Produktion dringend benötigter Aidspräparate erteilt hat. Und der US-Pharmariese Pfizer klagt auf den Philippinen gegen kostensparende Parallelimporte. Schon heute ist absehbar, dass jede weitere Verschärfung des Patentschutzes nur dazu führen wird, weitere Menschen vom Zugang zu wirksamen Medikamenten auszuschließen.

Doch Patente zementieren nicht nur Armut und Abhängigkeit – sie hemmen auch die Innovation. Bekanntlich wird Wissen immer weniger von isolierten Forschern produziert, sondern entsteht aus der globalen Vernetzung universitärer und privater Forschungseinrichtungen. Solche offenen Prozesse werden durch Datengeheimhaltung und das aberwitzige Wuchern von Schutzpatenten behindert. Diese haben nur die Funktion, besonders ertragreiche Patente vor Konkurrenten zu schützen. Nicht zuletzt darin liegt der Grund, warum zwar die Forschungsaufwendungen zunehmen, der Output aber mehr als mager ist. Immer mehr Geld geht für die Finanzierung von Anwälten und Lobbyisten, für Gerichtskosten und Marketing drauf.

Ohne Patentschutz keine Innovation und kein Wirtschafts- wachstum, so lautet Merkels Mantra Entwickelt wird nur, was sich verkauft. Also eher Mittel gegen Haarausfall als Tuberkulosemedizin

Es ist daher höchste Zeit, politisch zu handeln. Es muss daran erinnert werden, dass die größten gesundheitlichen Fortschritte nicht mit Blick auf Eigentumsrechte gemacht worden sind. „Darf man die Sonne patentieren?“, fragte Jonas Salk, der Entdecker des Polio-Impfstoffs, als er seine Entdeckung freigab. Doch die Kritiker eines rigiden Patentschutzes haben nicht nur ethische Argumente auf ihrer Seite. US-Ökonomen verweisen darauf, dass die Arzneimittelforschung billiger wird, wenn sie vollständig in öffentlicher Verantwortung liegt. Anreiz für Innovation sind dann nicht mehr Patente und hohe Preise, sondern direkte staatliche Finanzierungen, die aus Steuermitteln aufgebracht werden.

Dass die Umwandlung von Gesundheitsforschung in ein öffentliches Gut keine Utopie sein muss, zeigt das Beispiel eines neuen Malariamittels, das kürzlich in Paris vorgestellt wurde. Mit öffentlichen Zuschüssen wurde es von einem globalen Netz von Wissenschaftlern entwickelt. Nun ist es, frei von Patenten, allen zugänglich. Die Welt ist viel zu heterogen, als dass heute schon über ein einheitliches Patentsystem entschieden werden kann, das für alle von Nutzen ist. Notwendig ist eine neue Balance zwischen öffentlichen und privaten Interessen, zwischen freiem Zugang und dem Schutz der Rechte an Erfindungen. Nicht Innovation um jeden Preis sollte das Ziel sein. Es braucht vielmehr Innovationen, die auf öffentliche Bedürfnisse antworten und allen zugänglich sind. Gefordert ist die Entwicklung eines Konzepts von „Essenzialität“, das Arzneimittel und andere unentbehrlichen Bereiche der Daseinvorsorge als öffentliche Güter begreift und prinzipiell vom Patentschutz ausnimmt.

Dabei könnten alle gewinnen. Nur die Pharmaindustrie müsste vielleicht etwas abgeben. Angesichts von sagenhaften 18 Prozent Eigenkapitalrendite nach Steuern sollte sie das verkraften können. THOMAS GEBAUER