Zweiklassenjournalismus

Seit Raúl Castro in Kuba regiert, genießen einheimische Journalisten etwas mehr Freiraum. Ihre Kollegen aus dem Ausland haben unter dem „Kontrollfanatiker“ allerdings einen schweren Stand

Zufällig ist Hollywood-Star Errol Flynn auf Kuba, als der spätere Máximo Líder seine Revolution startet – und filmt mit. Nach Jahrzehnten im Archiv zeigt Arte am 15. April um 23.25 Uhr die Erstausstrahlung von „Die Wahrheit über Fidel Castros Revolution“ (USA 1959). Für ihren Dokumentarfilm „Fidel Castro“ (USA 2006) am 17. April um 20.45 Uhr auf Arte interviewte die geborene Kubanerin Adriana Bosch Exilanten und Überläufer, Experten und Exmitglieder seiner Regierung. Sie thematisiert Erfolge während seiner fast 48-jährigen Diktatur auf der Zuckerinsel ebenso wie seine großen Irrtümer und Misserfolge.

AUS HAVANNA BERND BIEBERICH

Als „unproduktives Martyrium“ hat der kubanische Journalist Ariel Terrero die Landwirtschaft der Insel jüngst gebrandmarkt. Harsche Kritik an der Agrarpolitik des Landes, die man früher eher im Miami Herald oder in kritischen Internetforen lesen konnte, nicht aber im einzigen Magazin der Insel, der Bohemia. Auch in der Juventud Rebelde, dem Blatt der kommunistischen Jugend Kubas, erscheinen regelmäßig kritische Berichte über die Lebens- wie Versorgungsbedingungen in Havanna und anderen Städten der Insel.

„Über diese Alltagsprobleme haben wir schon vor Jahren berichtet“, sagt Iván García lapidar. Der hünenhafte Journalist gehörte jahrelang zur unabhängigen und international bekannten Nachrichtenagentur Cuba Press. Gemeinsam mit Raúl Rivero, seiner Mutter Tanía Quintero und einem Dutzend weiterer Journalisten hat er über die Situation in Kuba berichtet. Damals waren Alltagsreportagen in der Landespresse Mangelware. Informationen über die Widersprüche zwischen Ideologie und Wirklichkeit sollten nicht nach außen dringen.

Heute, unter der Regie von Raúl Castro, dem jüngeren Bruder des langsam genesenden Fidel, wird die katastrophale Situation in der Landwirtschaft genauso thematisiert wie der latente Schwund im staatlichen Dienstleistungssystem. „Ausreden unerwünscht“, lautet die Devise des Staatschefs, der effiziente Strukturen schätzt. Die Presse scheint dabei ein Instrument zu sein, um die Botschaft zu verbreiten. Mit mehr Pressefreiheit habe das aber wenig zu tun, so Iván García. „Es ist nur wenige Monate her, dass ich das letzte Mal Besuch vom Staatsschutz (DSE) bekam und aufgefordert wurde, das Schreiben auch weiterhin zu lassen“, erinnert sich der 36-Jährige. Seit einem Jahr hat der Familienvater nichts mehr veröffentlicht. „Die Redaktionen akzeptierten die Übermittlung per Telefon nicht mehr, und da ich keinen Laptop hatte, musste ich aufhören zu arbeiten“, erklärt García.

Mittlerweile hat er einen Computer. „Nur der Internetzugang fehlt noch, aber das ist allein eine Frage des Geldes“, sagt Iván. In Kuba gibt es auf dem Schwarzmarkt einen schwunghaften Handel mit Zugangscodes, und wer die nötigen chavitos – so werden die konvertiblen Peso in Kuba genannt – hat, ist schnell online. Allerdings liest das kubanische Kommunikationsministerium den E-Mail-Verkehr mit und blockt durch verschiedene Filter Websites von exilkubanischen Organisationen.

Das gilt auch für die Websites von Dissidenten wie Oswaldo Paya. Dessen Familie in Spanien hat an seiner Stelle die Seite online gebracht. Mittlerweile sind fast alle international bekannten Oppositionellen im Internet vertreten. Allerdings wertet der DSE auch die Spuren der User im Internet aus und verwendet die Daten in Strafverfahren gegen sie.

24 kubanische Journalisten sitzen derzeit mit Haftstrafen zwischen 14 und 27 Jahren im Gefängnis. Und auch die internationalen Korrespondenten werden minutiös unter die Lupe genommen. So hat der Chef des internationalen Pressezentrums in Havanna, José Luis Ponce, Ende Februar mehreren Korrespondenten vorgeworfen, gegen die journalistische Ethik verstoßen zu haben. Stephens Gibbs von der BBC, Gary Marx von der Chicago Tribune und César González Calero von der mexikanischen Tageszeitung El Universal wurden vorgeladen und über das Ende ihrer Arbeitserlaubnis in Kuba informiert. Dabei, so González Calero, habe man nichts an der Qualität seiner Informationen auszusetzen gehabt, wohl aber an ihrem Fokus – Calero recherchierte unter anderem über die „Fahnenflucht“ kubanischer Ärzte nach Venezuela.

Die drei sind keine Einzelfälle, denn eine ganze Reihe der rund 150 internationalen Korrespondenten in Kuba klagen, dass seit der Erkrankung Fidel Castros im Juli 2006 die Funktionäre im internationalen Pressezentrum hypersensibel seien. „Seither wird unsere Arbeit von den Funktionären des Pressezentrums oft kritisiert“, klagt ein Korrespondent, der anonym bleiben will. Und mit der neuen Verordnung für Auslandskorrespondenten, die im Oktober letzten Jahres verabschiedet wurde, ist der Druck weiter erhöht worden. So kann die Akkreditierung laut Artikel 46 der Verordnung zeitweise oder ganz aufgehoben werden, falls die Arbeit der Korrespondenten „es an journalistischer Ethik fehlen“ lässt.

Kollegen, die nur für einige Tage oder Wochen nach Kuba kommen, müssen hingegen detailliert darlegen, womit und für wen sie sich in Kuba zu beschäftigen gedenken. Verstöße gegen diese Agenda, so zum Beispiel Interviews mit Vertretern der Opposition, können zum Verlust der Akkreditierung und zur Ausweisung führen. In den Genuss eines zeitlich begrenzten Arbeitsvisums kommen jedoch nur noch sehr wenige Journalisten. So wurden kürzlich mehrere Anträge abgelehnt, unter anderem vom Mittelamerikakorrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, aber auch von der ARD und dem Handelsblatt.

Für Iván García ist das keine Überraschung, denn Raúl Castro gilt in Kuba als Kontrollfanatiker. Und das ist auch ein Grund, weshalb García sein Geld derzeit lieber mit dem Drehen von Hochzeitsvideos verdient, statt zu schreiben.