„Wir Atheisten müssen lauter werden“

Die muslimischen Verbände repräsentieren nur eine kleine Minderheit, sagt Arzu Toker vom Zentralrat der Exmuslime. Wenn Wolfgang Schäuble sie als einzigen Dialogpartner sieht, wird die Zahl der Kopftuchträgerinnen weiter steigen

taz: Frau Toker, wenn Sie Ihre Religion angeben müssen, sagen Sie dann „Exmuslimin“?

Arzu Toker: Musste ich schon lange nicht mehr. Aber ich würde „keine“ sagen.

Gilt nicht „einmal Muslim, immer Muslim“?

Das ist richtig. Deshalb wollte ich, dass in der Geburtsurkunde meines Sohns „keine Religion“ steht. Aber beim türkischen Konsulat hieß es damals: „Das geht nicht, wenn dein Mann Muslim ist, sind deine Kinder Muslime.“ Ich fragte ihn dann provokativ: „Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass meine Kinder von meinem Mann sind?“ Aber diese Probleme sind passé, wir haben jetzt den deutschen Pass.

Sie haben dem Islam öffentlich abgeschworen. Wäre es nicht etwas leiser gegangen?

Ich habe mich vor vielen Jahren leise vom Islam verabschiedet. Aber das reicht heute nicht. Da gibt es sechs Männer, die sich als Vertreter von 3,5 Millionen Muslimen in Deutschland aufspielen. Da müssen wir Atheisten laut werden. Es macht keinen Sinn, wenn ich denen einen Brief schreibe, dass sie mich doch bitte von der Liste streichen sollen. Auch Herr Schäuble würde mich nicht ernst nehmen, wenn ich ihm sagen würde: Richten Sie den Herrschaften aus, dass sie eine Person weniger vertreten. Bei der christlichen Kirche weiß der Staat genau, wer Kirchensteuer zahlt und wer nicht. Die muslimischen Vereine mogeln sich da durch. Es gibt keinen offiziellen Eintritt, aber sie haben den Anspruch, alle zu vertreten. Da müssen sich eben die zu erkennen geben, die nicht vereinnahmt werden wollen.

Vor Ihrer Tür steht ein Polizeiwagen. Werden Sie bedroht?

Ich möchte darüber nicht reden. Drohungen machen Angst, und Angst macht stumm. Tatsache ist, dass der Koran vorschreibt, dass der Austritt mit dem Tod bestraft werden soll. Damit möchte ich brechen. Das kann ich nicht im stillen Kämmerlein tun.

Die SPD-Abgeordnete Lale Akgün wirft Ihnen vor, mit Ihrem Verein die Islamophobie anzuheizen.

Die Islamophobie wird nicht von Exmuslimen angeheizt, sondern von jenen, die dem Kabarettisten Jürgen Becker drohen, ihn wegen einer Aussage zum Islam zu verklagen. Oder die ihre Schwester oder Frau im Namen der Ehre töten, wie in Berlin oder Hannover geschehen. Es kann nicht sein, dass Exmuslime, die aufklären wollen, an der Islamfeindlichkeit schuld sein sollen.

Fürchten Sie nicht, von der Union benutzt zu werden? Islamkritikerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ateș werden von einer CDU-Veranstaltung zur nächsten durchgereicht.

Ich werde nicht schweigen aus Angst, dass die CDU mich vor ihren Karren spannen könnte. Mir ist es wichtig, mich öffentlich zu äußern, weil sonst alle denken, die Muslime sind ein Block. Bisher ist das Bild doch so, dass Millionen von Muslimen wegen ein paar Karikaturen beleidigt sind.

Sie wollen nicht mit gläubigen Muslimen in einen Topf geworfen werden?

Genau. Schäuble tut das ja auch. Weil er unbedingt alle unter dem Titel Muslime zusammenfassen will und viele so erst in die Ecke schiebt. Das trägt nicht zur Integration bei und ist übrigens typisch deutsch. Ich habe Verwandte in Amerika oder Australien, die sagen ganz selbstverständlich, dass sie Amerikaner oder Australier sind. Wenn ich hier sage, ich bin Deutsche, dann lächelt man nur und fragt: Was sind Sie denn wirklich? Das ist nervig, das ist versteckter Rassismus. Du wirst hier ständig darauf aufmerksam gemacht, dass du anders bist: Wo hast du deine schwarzen Haare her? Und deine blauen Augen? Diese Haltung führt dazu, dass Türken auf ihrem Türkischsein beharren – um ein Vakuum zu füllen.

Erklärt das auch den Trend zur Religiosität?

Es ist unübersehbar, dass heute in Deutschland mehr Frauen Kopftücher tragen als in den 60er- und 70er-Jahren. Das hat auch damit zu tun, dass in den 70ern saudi-arabische Stiftungen massiv in Deutschland investiert haben. Aber eben nicht nur. Gucken Sie sich doch die jungen Mädchen an, die modische rosa Kopftücher tragen, dazu enge T-Shirts und Hosen, in denen sich ihre Pobacken abzeichnen. So würde meine Tochter, die ich frei erzogen habe, nicht herumlaufen wollen. Diese Mädchen sind alles andere als gläubig – die sind irritiert.

Welche Identität wollen Sie denen denn anbieten?

Es ist wichtig, Menschen heranzuziehen, die ihren eigenen Grips benutzen. Bevor wir islamischen Religionsunterricht einführen, sollten wir erst mal in der deutschen Gesellschaft diskutieren: Wollen wir Religionsunterricht an den Schulen? Es genügt doch ein Ethikunterricht, in dem die Geschichte aller Religionen gelehrt wird. Alle Schüler sollten etwas über die christliche Hexenverfolgung erfahren. Ich glaube nicht, dass ein Priester im Unterricht davon erzählt.

Der christliche Religionsunterricht wird wohl kaum abgeschafft. Müsste es der Gleichbehandlung wegen dann nicht auch Islamunterricht geben?

Unter einer Bedingung kann ich mir das vorstellen: Wenn sich die Verbände von all den Scharia-Bestimmungen distanzieren, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind – dann sollen sie ihren Unterricht bekommen.

Kann man den Koran nicht, wie die Bibel, auf verschiedene Weise interpretieren?

Ein Mann darf, wenn er sie gleich behandelt, bis zu vier Frauen heiraten. Oder: Wenn eine Frau ihr Kind abgestillt hat, gehört es dem Mann. Wie wollen wir das positiv interpretieren? Außerdem stellt der Koran, anders als die Bibel, den Anspruch auf die Macht. Der Koran ist zugleich das Gesetz der Gläubigen.

Länder wie die Türkei haben die islamischen Gesetze doch den staatlichen Gesetzen untergeordnet.

Das kam aber doch nicht von selbst. Staatsgründer Kemal Atatürk musste die Scharia abschaffen, die Frauen per Gesetz entschleiern. Dagegen gab es Proteste, es ist viel Blut geflossen. Atatürk ist es zu verdanken, dass die Türkinnen – lange etwa vor den Schweizerinnen – das Wahlrecht hatten. Deshalb greife ich auch in Deutschland die Sympathisanten der Kopftücher an.

Das Kopftuchverbot betrifft in NRW zwölf Lehrerinnen.

Es geht doch nicht um diese paar Frauen. Sie sind Vorbild für viele hunderte von Schülern, denen sie zeigen: Ich werde unterdrückt. Ich muss meinen Kopf bedecken, damit der Mann nicht sexuell gereizt wird. Das ist übrigens auch eine Diskriminierung des Mannes. Sind die alle so triebgesteuert? Wenn sie Haare sehen, überfallen sie die Frauen? Was soll diese Unterstellung?

Was glauben Sie: Wird es in zehn Jahren mehr Kopftuchträgerinnen geben als heute?

Wenn Schäuble mit seiner Politik Erfolg haben sollte, ja. Wenn er den Islam dem Christentum gleichstellt, wenn die Vereine Millionen an Steuern bekommen, dann werden es noch mehr werden. Damit können die staatlich subventioniert ihre Schulen, Moscheen, Krankenhäuser betreiben. Das halte ich für verheerend. Sie dürfen auf keinen Fall eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden.

Was ist mit dem staatlich geförderten christlichen Religionsunterricht?

Dafür haben die Christen Kritikerinnen wie Ranke-Heinemann oder Deschner, da will ich mich nicht auch noch einmischen. Ich bleibe dabei: Religion ist Privatsache.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN