Die Bürgerdarsteller

Uwe Seeler, Günther Jauch und all die anderen: Promis haben einen Traum – in der Kulturpolitik eine größere Rolle zu spielen. Dafür geben sie, was sie haben: Geld und ihr Gesicht. Woraus speist sich das Engagement für Schlösser und Elbphilharmonie?

Auf die Folgen der Kultur waren Bürger einst stolz. Heute organisieren sie folgenlosen Konsum von Promi-Gesichtern

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Uwe Seeler hat es gefallen, einen Teil seiner hart verdienten Piepen für einen guten Zweck auszugeben. Einen kulturellen Zweck. Er hat zu den insgesamt schon 50 Millionen Euro beigetragen, die Hamburger Bürger für die neue Elbphilharmonie gesammelt haben. Ein dringend benötigtes Haus, das, aller Wahrscheinlichkeit nach, 90 bis 95 Prozent seiner Zeit von den Klängen der europäischen komponierten Musik von vor 1900 erfüllt sein wird.

Stimmt. Da hat was gefehlt. In der Hansestadt. Aber was genau mag es Uwe Seeler attraktiv erscheinen lassen, sein sauer verdientes Geld in diesen pompösen Palast des sattsam Bekannten zu stecken? Warum gibt er es nicht für etwas aus, das entweder er selbst wirklich mag oder das es nicht schon gibt? Nun, vielleicht gibt es das, an dessen Kauf er beteiligt ist, zwar schon lange, aber neu ist, dass er und seinesgleichen dergleichen als öffentlich handelnde politische Akteure möglich machen und durchsetzen. Neu ist, dass nicht seine Kröten die entscheidende Rolle spielen, sondern dass die Veröffentlichung der Tatsache, dass er und viele andere regionale und interregionale Bekanntgesichter dabei sind, als kulturpolitisches Argument für den Bau eingesetzt wird.

Deutsche Promis, so die Tendenz, schmeißen sich dieser Tage immer öfter mit Verve in Aktivitäten, die irgendwie nach dem seit ein paar Jahren so beliebten Bürgersinn müffeln. Sie stellen diesem ideologischen Programm das Beste zur Verfügung, was sie zu bieten haben: ein weithin bekanntes, distinktes visuelles Signet (ihr Gesicht) und eine vage, aber vertraute Semantik (ihr öffentliches Profil). Ja, sie schaffen, was normalerweise semiotisch unmöglich ist: maximale Lesbarkeit bei minimaler Festlegung. Da ihr einziger Sinn in der tautologischen Botschaft besteht, dass sie sie selbst sind, versteht sie jeder und freut sich über seine geglückte Zeichenlektüre und das damit verbundenen Gefühl von Partizipation. Ohne dass irgendeine Konsequenz zu befürchten wäre.

Das ist mehr, als jedes Programm, jedes Argument, jeder Gedanke bewegen kann in einer Gesellschaft, deren Öffentlichkeit zu 75 Prozent von Fernsehanstalten bestimmt wird, die zu 90 Prozent Oscar-Verleihungen, Echo-Verleihungen, Bayrische-Filmpreis-Verleihungen, rote Teppiche, Bambis, Grammys, Emmys, Lolas, Palmen und Bären ausstrahlen – also Inszenierungen der großen tautologischen Operation. Und es lohnt sich zu fragen, was mit dieser semiotischen Wunderwaffe in Zukunft noch alles angestellt werden wird. Jetzt, wo sie durch kulturellen Aktivismus zwar keinen Sinn oder eine inhaltliche Konsequenz erhält, wohl aber faktische Konsequenzen hat in Form von lieblich geschwungenen Konzert- und Kunsthallen in totgehübschten Großstädten. In Berlin herrscht gerade große Freude über einen „Wölkchen“ genannten Entwurf einer temporären Kunsthalle, der nun auch amtlicherseits auf mildes Wohlwollen hoffen darf.

Die Suche nach dem spezifischen politischen Akteur einer Epoche galt bisher vor allem als ein Problem linker Politik und Theorie. Wer ist als politisches Subjekt der Nachfolger der Arbeiterklasse, lautet die große Frage. Die andere Seite handelte einfach und machte Flocken – bis sie jemand daran hindert. Wenn sie ein Problem hatte, war es dieses. Heute aber erfinden sich alle möglichen Leute beinahe täglich neu als Bürgertum und bedenken Wege zu dessen Handlungsfähigkeit. Währenddessen hören sie zwar nicht auf, Kies und Keschkesch zu horten, aber es geht ihnen nun eben um ein anderes Handeln, jenseits der Plutokratie. Man hat es erraten, es geht um die kulturelle Handlungsfähigkeit der narzisstischen Lieblingsfiktion einiger, meist mächtiger Akteure: das kulturell verantwortungsbewusste Bürgertum.

Die Idee dieser neuen bürgerlichen Handlungsfähigkeit hat viele geistesgeschichtliche Ahnen. Am Anfang steht eine Verklärung, die analog zu einer bestimmten linken Verklärung des politischen Subjekts steht. Die Linke glaubt, dass, wer Unrecht und Ausschließung erleidet, eher dazu geeignet ist, auf bessere politische Modelle hinzuarbeiten, als deren Nutznießer. Die weitaus unsympathischere, aber nahe verwandte Entsprechung zu diesem Wunschdenken auf der anderen Seite besteht in der Annahme, Reiche und Mächtige hätten ein engeres und angemesseneres Verhältnis zu Kunst und Kultur als Arme, Büro- und Demokraten. Ganz zu schweigen von Kritikern und anderen Leuten, die sich um diskutierbare Kriterien bemühen.

Jeder, der je mit Reichen und Mächtigen Kontakt hatte, weiß, dass diese Leute in der Regel, insbesondere dann, wenn sie das Gegenteil von sich annehmen, von Kunst und Kultur keine Ahnung haben, vor allem keinen Geschmack. In einem noch viel stärkeren Sinne als normale Banausen wollen sie etwas kaufen, dessen Wert sie kennen. Der im normalen Kunstkonsum eh verbreitete Hang zum schon Bekannten erhält eine andere Bedeutung in der Welt der privaten Kulturförderung, wo es nicht um Gefühle, sondern um Gegenwerte geht. Insbesondere, wenn das Publikum meint, dieser reiche Knopp X hier agiere doch risikoreich unbanausisch, wenn er die schrille Type Y fördere, irrt es gewaltig, denn das Genre der schrillen Type ist natürlich genau die über alle Maßen sichere Bank, auf die der Knopp gesetzt hat.

Die gerade in letzter Zeit in so vielen Biografien und Laudationes gefeierten stilbildenden, radikalen, kunstsinnigen Mäzene der Vergangenheit sind nicht nur die Ausnahme; sie sind in den meisten Fällen eben gerade nicht aus der je als ideal angesehenen Lebensführung ihrer Klasse hervorgegangen, sondern haben sich irgendwann gegen sie gestellt. Ihr Beispiel taugt allenfalls für die gute alte Erzählung von einem Bürgertum, dessen wertvollstes Produkt seine Abweichler waren, aber nicht für die so verbreitete neue, dass das Bürgertum als initiativ handelnde Klasse zuständig sei für „Weltniveau“ oder aber Gegenmodelle zu – je nach präferiertem Feindbild – „subventioniertem Regietheater“ oder „seelenloser moderner Architektur“.

Es gibt aber neben dem größenwahnsinnigen Traum bekannter Bürgerdarsteller eine größere Rolle in der Kulturpolitik zu spielen, zwei andere Vorfahren der neuen Akteure. Dies ist einmal das breite Bürger-Engagement, wie es sich beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche manifestiert hat und seitdem als preiswertes Phantasma durch Sonntagsreden schwallt. Der andere Vorfahr aber ist das Promi-Engagement nach US-amerikanischem Vorbild. Richard Gere, David Byrne, Laurie Anderson und die Beastie Boys im Kampf für Tibet und den Dalai Lama. Denn bei den aktuellen Kämpfen dieses neuen kulturpolitisch engagierten Bürgertums marschieren auch junge Pop-Promis neben „verdienten Öffentlichkeitsarbeitern“, wie die FAZ die Unterzeichner des Museumsinsel-Appells sarkastisch nennt, an vorderster Front.

Prominente sind generell eine relativ neue Kategorie unserer Öffentlichkeit, insbesondere aber die Celebrities der letzten Jahre. Sie unterscheiden sich deutlich von Stars – ihren Vorgängern. Stars haben erstens einen spezifischen Inhalt, ihr Bild kursiert als Bündelung diffuser, aber bestimmter Ideen. Prominente hingegen sind vielfach verwendbare Logos ohne bestimmten Inhalt. Und in ihrer B-Variante sind sie eine allgemein verachtete Spezies.

Es gibt einen strukturell identischen Promi aber genauso auf der High-Ebene, und in dieser Gestalt steht er vor der Museumsinsel und rüttelt an den noch nicht mal entworfenen Pforten von David Chippendale wegen diffuser Angst vor moderner Architektur. Damit spricht der Promi/Bürger seinem Volk aus der Seele. Wer ist das, sein Volk? Es sind alle an das Medium Logo-Gesicht gewöhnten Kommunikationsteilnehmer und (meist passiven) Öffentlichkeitsbewohner. Warum spricht er ihnen aus der Seele? Weil sein kulturpolitischer Einsatz (gegen moderne Architektur, Regietheater, atonale Musik, konzeptuelle – „unsinnliche“ – Künste) und dessen Form, die Zeichenarchitektur (vertraut, gestaltreich, multifunktional, modular, aber semantisch wenig bestimmt), inhaltlich harmonieren. Ein vertrautes Promi-Gesicht plus ein verständliches (weil bereits bekanntes) Anliegen sind das unblutig-tonal-sinnliche Gegenteil der oben bekämpften Kunstrichtungen.

Das könnte so klingen, als wäre die Promi-Neobürger-Konvergenz ein rein gestrig-reaktionäres Phänomen, indem sich Boulevardgeschmack und Alt-Westberliner Kulturkämpfer-Seilschaften gegen die Moderne stemmen. Mitnichten. Die Museumsinseleingangsgebäudeneubauentwurfsstürmer mit all den Barings, Siedlers und ihrem Junior inter pares Günther Jauch sind nur die eine Seite der Allianz. Die, die wirklich ins 19. Jahrhundert zurückwollen und dafür aus ihrer Sicht gute Gründe haben. Die andere Seite repräsentiert die Allianz aus Mainstream-Hipstern und Hipster-Promis hinter der Partnerschaft des Berliner Architekturbüro Graft mit ihrem Freund und Kunden Brad Pitt und deren Sympathieerfolgen bei dem Promi-begeisterten Kulturpolitiker Klaus „Red Carpet“ Wowereit. Hier ist nicht das 19. Jahrhundert Gegenmodell zu Argument, Kritik und Konzeptualismus, sondern die schweifend schwelgende Sinnlichkeit des vermeintlichen 21.

Die Promikultur ist strukturell repetititionsselig, der Konservative hingegen will aus bestimmten Gründen etwas ganz Bestimmtes bewahren oder wiederhaben. Er verabscheut in der Regel sogar das, was die Gegenwartskultur im leeren Zeichen des Promi zirkulieren lässt. Ebenso wenig interessiert sich die Promikultur für die Baugeschichte der Schlösser, in denen sie ihre Soaps drehen lässt. Aber am Ende des Tages wollen beide dieselben Schlösser und Schlossplätze. Ob nun darin die eine Fraktion Fontane-Lesungen stattfinden lassen will oder die andere eine Miniserie mit einer deutschen Angelina-Jolie-Nachempfindung drehen wird, schmälert nicht den synergetischen Sog.

Die temporäre Kunsthalle begeistert natürlich die eher unkonservativ-berufsjugendlichen Hipsterdarsteller-Promis, weil Kunst mittlerweile der Lieblingssport der High-End-Celebrities ist: Kultur für alle, aber bildende Kunst für die unter 50-Jährigen. Was Uwe Seeler bei der Hamburger Klassik, ist Beyoncé auf der Art-Basel-Miami. Und natürlich ist auch der plötzliche Sinneswandel des Regierenden pro temporäre Kunsthalle auch der Aussicht zu verdanken, dass er dort in Zukunft neben Pitt und Jolie und anderen Class-A-Celebrities die Hirst-, Barney- und Gurski-Shows eröffnen kann, die einstweilen noch in anderen Glamour-Zonen stattfinden. Bildende Kunst verfügt mittlerweile nicht nur über den glamourösesten, sondern auch über den direktesten Weg zu prominenter, begehrter Visagizität. Das Interesse an Künstlern als Personen hat in den letzten Boomjahren jedes Interesse am Werk in die esoterischen Zirkel von Akademikern und Kritikern verbannt. Alle anderen leben im Glanz von Personen und deren Inszenierung.

Der Promi-Effekt der bildenden Kunst unterscheidet sich zwar auf den ersten Blick vom gesamtgesellschaftlichen Trend. Der Künstler-Promi ist – vorgeblich – gerade nicht leer und fungibel, sondern brachial, gestaltreich und zerfurcht. Warum er das aber jeweils ist, wovon die Furchen und Narben, die Mähnen und die Masken je künden, ist egal geworden. Er ist als der lebensgeschichtlich Legitime, der berserkermäßig Begründete ein genauso leerer logohafter Statthalter geworden wie Boris Becker oder Brad Pitt. Er ist nur wertvoller, weil seine Prominenz – der Tauschwert bekanntes Gesicht – in einer geringeren Auflage kursiert, in einer exklusiveren Welt.

Die Welt des Kulturbürgertums war einst stolz darauf, dass der von ihr erlebte und organisierte Kunstgenuss und das ihn betreffende Geschmacksurteil folgenreich war. Heute ruht und rastet sie nicht, bis sie ihre eigene Promi-Kultur mit einem exklusiven folgenlosen Gesichterkonsum organisiert hat. Der freundlich verbratene Regierende hat für alle Fraktionen dieser Entwicklung ein Herz.