Die Tonangeber sind verstummt

AUTONOME Ob 1.-Mai-Demo in Berlin, G-8-Protest in Heiligendamm, Nazi-Blockaden in Dresden – die Antifaschistische Linke Berlin war stets dabei. Das Ende der Gruppe spiegelt die Krise der autonomen Szene

■ Interventionistische Linke (IL): 2005 gegründeter Zusammenschluss von mehr als einem Dutzend Gruppen und Einzelpersonen, der sich bei allen Aktionen und Kampagnen darum bemüht, die linksradikale Nische zu verlassen und Bündnisse mit moderaten Linken und sozialen Bewegungen einzugehen. Von der Mobilisierung gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm über „Dresden Nazifrei“ und Blockupy – wo immer linke Massenaktionen stattfinden, ist die IL maßgeblicher Akteur.

■ UmsGanze!: Antinationales, gemäßigt antideutsches Bündnis mit elf Mitgliedsgruppen in Deutschland und Österreich. Der Kritik an Nationalismus und Antisemitismus widmet man sich sowohl theoretisch als auch auf der Straße. Motto: „Staat.Nation.Kapital.Scheiße!“ Organisation der militanten Demonstration M31 vor zwei Jahren in Frankfurt als eigener Akzent vor den Blockupy-Protesten der IL. Inzwischen wird gemeinsam gegen die EU-Krisenpolitik demonstriert.

■ 3A: 2010 gegründetes Bündnis von antiimperialistischen Gruppen. Mit klassenkämpferischer Rhetorik in den Themenfeldern Antimilitarismus, Internationalismus und Antikapitalismus unterwegs, bislang jedoch ohne große öffentliche Wahrnehmung. (epe)

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AUS BERLIN KONRAD LITSCHKO

Im April noch lud die ALB mit ein in die Technische Universität Berlin. „Antifa in der Krise?“, war der Titel des Kongresses. Rund 800 Diskutanten kamen und stritten sich ein Wochenende lang. Wo bleibt der Nachwuchs? Was tun gegen Anti-Asyl-Hetze? Was gegen den AfD-Aufstieg?

Offenbar blieben die Antworten aus. In der Nacht zu Dienstag zog die „Antifaschistische Linke Berlin“ die radikalstmögliche Konsequenz: Sie löste sich auf. Offen werden in einer letzten Erklärung „Ratlosigkeit, Resignation und Austritte“ eingeräumt. „Ehemals bewährte Konzepte eignen sich nur noch bedingt für die politischen Fragen unserer Zeit.“ Ein „Weiter so“ sei „keine gemeinsame Perspektive mehr“.

Dabei war die ALB nicht irgendwer. Seit elf Jahren gab die Gruppe den Ton in der autonomen Szene Berlins vor, führte einen eigenen Laden mit Szenebedarf – natürlich in Kreuzberg. Sie organisierte maßgeblich den alljährlichen 1.-Mai-Aufzug, der in den letzten Jahren bis zu 20.000 Teilnehmer versammelte.

Die ALB wirkte auch bundesweit: der Großprotest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm, Anti-Nazi-Blockaden in Dresden, die Belagerung des Finanzzentrums in Frankfurt am Main – sie war dabei. Nicht zufällig führte die zentrale Internetseite www.antifa.de direkt zur ALB.

Dass gerade diese Gruppe jetzt aufgibt, ist auch ein Symptom. Denn die Antifa-Szene sortiert sich momentan bundesweit neu. Erst im Juli löste sich in Frankfurt am Main die Antifa nach zehn Jahren auf, startete als „kritik&praxis“ mit neuem, „offenerem“ Konzept. In Göttingen entstand im vergangenen Winter eine „Basisdemokratische Linke“ – auch sie gewillt, die klassische Antifa-Arbeit zu erweitern.

Die Bewegung stand zuletzt nicht gut da. Die NSU-Mordserie hatte auch sie kalt erwischt. Die jüngsten Asylproteste organisierten die Flüchtlinge weitgehend autark, nur punktuell gesellten sich Autonome dazu. Zur Debatte über die Massenüberwachung blieb die Antifa stumm. Selbst der Aufstieg der Alternative für Deutschland, die derzeit hart nach rechts außen steuert, fand dort kaum Resonanz.

Die ALB formuliert es schonungslos. In einer „Schockstarre“ befinde sich die radikale Linke. Vieles sei „Stillstand und Phrasendrescherei“. Es brauche eine neue „linksradikale Perspektive, die ihren Namen noch verdient“.

Dabei war der Start der ALB ein hoffnungsvoller. Schon 1993 gründete sich in Berlin ihr Vorgänger, die „Antifaschistische Aktion Berlin“ (AAB). Es war auch ein Befreiungsversuch. Die Vermummung der klassisch Autonomen wurde gelüftet: Man wollte raus aus der Szene, ansprechbar sein. Es gab Pressesprecher – ein Novum. Und auf Demos knarzten nicht mehr Ton, Steine, Scherben aus alten „Lautis“, sondern Techno von Trucks. Es durfte getanzt werden, der Berliner Autonome trug nun auch Jeans statt nur schwarz.

Schnell hatte die Gruppe ihr Label weg: „Pop-Antifa“. Intern wird der Kurs bis heute verteidigt. Etwas verändern lasse sich nur in größeren Zusammenhängen, sagt Valentin. Der Mittdreißiger gehörte seit den 1990ern zur Gruppe, heißt eigentlich anders. „Wir haben es geschafft, mit wenigen Leuten viel Aufmerksamkeit rauszuschlagen.“

80 Leute gehörten in der Hochphase zur ALB. Am Ende waren es vielleicht noch 30, viele inzwischen in Valentins Alter, einige mit Kindern. 30 Leute, die Zehntausende auf die Straße brachten. Höhepunkt war der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm: Bundesweit rückte die Szene an, organisierte einen Alternativgipfel, drang in Sperrgebiete vor. Die ALB saß zwei Jahre mit im Vorbereitungskreis.

Schon zuvor aber gab es das erste Ende. 2000 rief SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder den „Aufstand der Anständigen“ aus, Antifa wurde Mainstream. Und den Autonomen fiel wenig ein, was man mehr machen könne, als Faschos zu jagen. Die AAB zerbrach 2003 schließlich an der Frage, ob der Irakkrieg richtig sei und wie man zu den Antideutschen stehe – eine Fraktion lehnte beides ab. Sie wurde zur ALB.

Teile der damaligen Debatte kehren nun wieder. Es brauche eine „Neubewertung“ der „Fokussierung auf den Kameradschafts- und NPD-Nazi“, heißt es im ALB-Schlusswort. Der Kampf müsse sich erweitern: gegen den „Sozialchauvinismus“ breiterer Gesellschaftsschichten.

Schon zuletzt orientierte sich die ALB in Richtung „Interventionistische Linke“ (IL), ein bundesweites Netzwerk pragmatischer Postautonomer. Die setzen auf Kirchenleute und Gewerkschafter statt auf Steinhagel, um Neonazi-Aufmärsche wie in Dresden zu blockieren oder Castorgleise im Wendland zu „schottern“. Nicht wenige ALBler werden dort nun Anschluss finden.

Einigen aber sei dieser Ansatz „nicht radikal und antagonistisch“ genug, heißt es in der ALB-Erklärung. Sie würden sich „bestehenden Strukturen“ anschließen oder Neues gründen. Die Kritik kam zuletzt auch von den Radikaleren der Szene: Zu lasch, „zu versöhnlich“ sei die ALB, vor allem am 1. Mai. Der war in den letzten Jahren in Berlin nicht nur so groß wie seit Langem nicht, sondern und auch so friedlich. Einigen zu friedlich.

Eine Sprecherin des Berliner Verfassungsschutzes sagte am Dienstag, die autonome Szene stehe am „Scheideweg“. Hier der klassisch schwarze Block, dort die, die Anschluss an die Zivilgesellschaft suchten. Anderen Gruppen stehe „ein ähnlicher Prozess wie bei der ALB bevor“.

Valentin, bis Dienstag ALBler, wird den Weg mit zur „Interventionistischen Linken“ gehen. Das Netzwerk sei eine Chance, sagt er. Mehr Vernetzung, mehr Schlagkraft. „Es ist immer gut, Neues auszuprobieren.“ Und: „Es gibt nicht viel zu verlieren.“

Berlin SEITE 21