Tod auf der Wache

Auf einer Pressekonferenz am Montag stellten sich die internationalen Prozessbeobachter vor. Die französische Publizistin Rosa Amelia Plumelle-Uribe erklärte: „Oury Jalloh ist kein Einzelfall. Wir sind sehr besorgt, dass ähnliche Fälle auch anderswo in Europa geschehen.“ Rechtsanwalt Silas Nkanunu aus Südafrika forderte einen wirksamen Schutz von Migranten. „Der Staat muss Maßnahmen treffen, Polizisten in ihrem Handeln stärker zu kontrollieren.“ Jallohs Vater erhofft eine öffentliche Debatte über Rassismus in Deutschland. TR

VON TIEMO RINK

Am Morgen des 7. Januar 2005 wird Oury Jalloh in der Innenstadt von Dessau in Sachsen-Anhalt von der Polizei kontrolliert. Einige weibliche Angestellte der Stadtreinigung hatten sich von ihm belästigt gefühlt und die Beamten verständigt. Da das Geburtsdatum des 21-jährigen Asylbewerbers aus Sierra Leone auf seinem Duldungsdokument für die Beamten nicht lesbar ist, nehmen sie ihn mit aufs Revier. Jalloh will nicht mitkommen, er wehrt sich. Auf der Wache wird ihm Blut abgenommen, er wird durchsucht. In Zelle 5 der Dessauer Polizeiwache wird er „fixiert“ – die Beamten fesseln ihn an Händen und Füßen an die Pritsche. Wenige Stunden später ist Oury Jalloh tot. Er verbrennt.

Was mit der Kontrolle eines Schwarzen auf einer Polizeiwache in Deutschland als Routinefall beginnt, entwickelt sich zu einem Albtraum. Für Regina Goetz, die als Rechtsanwältin in einer Nebenklage die nicht in Deutschland lebende Mutter von Oury Jalloh vertritt, steht fest: „Dass eine Person festgenommen wird und in Polizeigewahrsam verbrennt, das sind Sachen, bei denen man sich nicht vorstellen kann, dass sie möglich sind in diesem Land.“

Bis zu 15 Jahre Haft

Heute beginnt der Prozess gegen den Polizisten Andreas S. wegen des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassung. Er war am fraglichen 7. Januar der Dienstgruppenleiter. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Ebenfalls angeklagt ist der Polizeibeamte Hans-Ulrich M. Er soll ein Feuerzeug bei Jalloh übersehen haben und deshalb mitschuldig an dessen Tod sein.

Mehr als zwei Jahre brauchte die Staatsanwaltschaft, bis es zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Nicht nur für den Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff – er vertritt in einer Nebenklage den Vater des Toten – ist „unklar, warum es so lange bis zur Anklage dauerte“. Für den Juristen „drängt sich der Verdacht auf, das Landgericht Dessau hat den Prozess verschleppen wollen“.

Tatsächlich lässt der Ermittlungsstand viele Fragen offen. Laut Staatsanwaltschaft soll Oury Jalloh mit einem bei der Durchsuchung unentdeckt gebliebenen Feuerzeug seine Matratze angezündet haben. Nachdem sie in Flammen aufgegangen war, starb Jalloh an einem Hitzeschock. In späteren Versuchen konnte die Feuerwehr nachweisen, dass in Zelle 5 der Dessauer Wache während des Brandes Temperaturen von bis zu 330 Grad herrschten. Bei dieser Hitze starb Jalloh in den ersten sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers.

Die von der EU eingerichtete „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC) dokumentiert rassistische Straftaten in der EU. In ihrem jüngsten Jahresbericht weist sie darauf hin, dass Asylsuchende in immer stärkerem Maße auch Diskriminierungen durch Polizeibeamte ausgesetzt sind.

„Spezialkanüle“

Auch in Dessau scheinen Polizeibeamte Vorbehalte gegen Ausländer zu haben. In einem routinemäßigen Telefonmitschnitt aus der Wache, der der taz vorliegt und Teil der Gerichtsverhandlung ist, bittet Andreas S. den Arzt Andreas B., Jalloh Blut abzunehmen.

Polizist: „Wir bräuchten dich mal.“

Arzt: „Was haste denn?“

Polizist: „Na, eine Blutentnahme.“

Arzt: „Na, dann mach ich das, dann komm ich mit rum.“

Polizist: „Ja, pikste mal ’nen Schwarzafrikaner.“

Arzt: „Ach du Scheiße.“

Polizist: lacht

Arzt: „Da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen.“

Polizist: „Na, bring doch ’ne Spezialkanüle mit.“

Arzt: „Mach, mach ich, alles klar, bis gleich.“

Die Untersuchung ergibt einen Alkoholwert von knapp drei Promille. Jalloh ist sturzbetrunken. Die Polizisten bringen Jalloh in eine gekachelte Zelle und legen die Fesseln an. Über eine Wechselsprechanlage können die Beamten mithören, was in der Zelle vor sich geht. Jalloh rasselt mit den Fesseln, er pöbelt und schimpft. Vielleicht hat er nicht verstanden, warum er angekettet auf einer Pritsche in einer Polizeiwache sein muss. Einen Dolmetscher, der es ihm hätte erklären können, haben die Beamten nicht verständigt. Wegen des Lärms prüfen Polizeibeamte mehrfach die Zelle, sprechen mit ihm. Um 11.54 Uhr verlassen sie die Zelle. Sie werden die Letzten sein, die Jalloh lebend gesehen haben.

Kurz vor 12 Uhr beginnt Jalloh in seiner Zelle zu toben. Seine Schreie sind so laut, dass es der mit Andreas S. in der Zentrale sitzenden Polizistin Beate H. „in den Ohren wehgetan hat“. Andreas S. telefoniert gerade, von dem Lärm aus Zelle 5 fühlt er sich gestört. Deshalb dreht er die Wechselsprechanlage leise. Beate H. dreht die Anlage unverzüglich wieder auf. Kurz darauf hören Andreas S. und Beate H. plätschernde Geräusche über die Sprechanlage. Plötzlich schlägt der Rauchmelder Alarm. Andreas S. stellt ihn aus.

In der Vergangenheit soll es öfter Fehlalarm gegeben haben, im September wurde die Anlage jedoch repariert. Beate H. gab in einer ersten Zeugenaussage zu Protokoll, Andreas S. habe den Alarmknopf zweimal ausgedrückt. Nachdem auch der Lüftungsschalter Alarm geschlagen habe, soll sich Andreas S. endlich von seinem Zimmer aus in die Zelle begeben haben. In einer späteren Aussage unter Anwesenheit ihres Dienstgruppenleiters Andreas S. revidiert Beate H. ihre Aussage in Teilen. Als Andreas S. die Zellentür öffnet, schlägt ihm beißender Qualm entgegen. Er verständigt die Feuerwehr. Sie wird die brennende Leiche Jallohs später löschen.

Warum brannte die Matratze?

Die Dessauer Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Jalloh seine Matratze und damit sich selbst angezündet hat. Eine spätere Untersuchung der Feuerwehr ergibt jedoch, dass die Matratze kaum zu entflammen ist. Mit dem in Frage kommenden Feuerzeug lässt sich die feuerfeste Ummantelung aus Kunstleder gerade mal ankokeln.

Laut Feuerwehr entsteht eine Kohleschicht, die ein Durchschlagen der Flammen auf den leichter entzündlichen Schaumstoffkern der Matte verhindert. Wenn diese Schicht auf einer großen Fläche entfernt wird, ist die Matratze tatsächlich brennbar.

Das sachsen-anhaltische Innenministerium teilt nach Jallohs Tod mit, dass „eine Beschädigung des Überzuges nicht ausgeschlossen“ werden könne, die Matratze also leichter entflammbar gewesen sei. Die Reinigungskraft des Reviers erinnert sich jedoch an keine Beschädigung des Kunstleders, und die Brandgutachter schließen aus, dass Jallohs brennende Kleidung die Matte hätte entflammen können.

Für die Theorie der Staatsanwaltschaft bedeutet das: Jalloh stirbt, nachdem er trotz seines aufgrund der Fesseln geringen Bewegungsspielraums ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche holt, damit die obere Schicht seiner Pritsche versengt, daraufhin die verkohlte Schicht abkratzt und schließlich erfolgreich den Schaumstoffkern und damit wenig später sich selbst anzündet.

Mit drei Promille.

In einem weiteren – im Auftrag der Jalloh-Unterstützer aufgegebenen – Obduktionsgutachten, das der taz vorliegt, legen die Mediziner dar, dass kaum ein Mensch mit einem solchen Vollrausch noch zu gezielten und koordinierten Bewegungen in der Lage ist. Auch die Frage nach dem Motiv bleibt unklar. Zeugen schildern Jalloh als fröhlichen und lebenslustigen Menschen. Der Bürgerkriegsflüchtling war Vater eines Kindes, kämpfte seit langer Zeit um das Sorgerecht.

Ein weiteres Detail aus dem zweiten Obduktionsbericht sorgt zusätzlich für Aufregung: Nachdem die Staatsanwaltschaft es als unnötig angesehen hatte, den Leichnam zu röntgen, um Hinweise auf mögliche Knochenverletzungen zu bekommen, wurde dies in der zweiten Autopsie nachgeholt. Das Ergebnis: Jallohs Nase war gebrochen, außerdem waren beide Trommelfelle zerstört. Wie und warum diese nicht vom Feuer verursachten Verletzungen entstanden, ist bis heute unklar.

Nicht so unklar hingegen ist das Klima in der Dessauer Wache. Nachdem die Feuerwehr bereits angekommen ist, telefonieren zwei Polizisten:

Polizist 1: „Hat er sich aufgehangen oder was?“

Polizist 2: „Nee, da brennt’s.“

Polizist 1: „Wieso?“

Polizist 2: „Weiß ich nicht. Die sind runtergekommen, da war alles schwarzer Qualm.“

Polizist 1: „Ja, ich hätte fast gesagt: gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao, ciao.“

Was passierte wirklich am Morgen des 7. 1. 2005? Warum musste Oury Jalloh sterben? Antworten auf diese Fragen erhoffen sich mittlerweile auch Menschenrechtsorganisationen sowie Prozessbeobachter und Juristen aus Frankreich, England, Südafrika und Uganda. Amnesty international beobachtet den Prozess und hat sich bereits für die Hauptverhandlung akkreditiert.

Im Polizeirevier Dessau scheint ein Klima zu herrschen, unter dem Festgenommene, Ausländer erst recht, durchaus Schaden nehmen können. Bereits im Oktober 2002 verstarb in Dessau ein Gefangener in Polizeigewahrsam. Laut Polizeibericht erlag der Häftling damals inneren Verletzungen, die er schon vor der Festnahme erlitten haben soll. Die Umstände blieben zum größten Teil ungeklärt. Dienstgruppenleiter damals: Andreas S.