Wo Bäume umfallen wie Fliegen

Der Orkan Kyrill hat Anfang des Jahres die schwersten Zerstörungen aller Zeiten in den Wäldern von NRW angerichtet. Sechs Prozent der Waldfläche wurden zerstört, das sind rund 25 Millionen Bäume auf 50.000 Hektar. 80 Prozent aller Schäden in NRW konzentrieren sich auf Wälder in Südwestfalen. Mit den Folgen zu kämpfen haben jetzt rund 30.000 von den insgesamt 150.000 privaten Waldbesitzern im Land, die Flächen zwischen einem halben und mehreren tausend Hektar besitzen. Etwa 65 Prozent des Waldes in NRW sind in Privatbesitz. Über die Höhe der Schäden durch Kyrill insgesamt gibt es unterschiedliche Angaben. Georg Freiherr von Weichs, Vorsitzender des Waldbauernverbands im Hochsauerlandkreis, spricht von 3,2 Milliarden Euro Schäden durch Kyrill – allein in NRW. Diese Zahl will das NRW-Umweltministerium allerdings nicht bestätigen. Die Landesregierung hat für die Waldbauern vier Millionen Euro für zinsverbilligte Kredite ausgegeben und stellt bis zu 20 Millionen Euro aus den Einnahmen des Holzverkaufes des Landesbetriebs Wald für Sanierungsarbeiten etwa an Wegen bereit. Weitere Hilfspakete werden heute womöglich auf der Kyrill-Konferenz in Siegen beschlossen. SUG

AUS BALVE SUSANNE GANNOTT

Der Elch starrt ins Leere. Bernward Lösse geht vor dem Fenster auf und ab, den Telefonhörer am Ohr, und spricht von Frei-Waldweg-Lieferungen, Festmetern und Harvestern. Bei jedem Schritt knarzt der Dielenboden. „Wir wollen irgendwann mal anfangen, es tut sich ja nix.“ Der 49-Jährige redet ruhig, doch die großen Schritte, mit denen er den Raum durchmisst, verraten seine Anspannung. Der Elch starrt, als ginge ihn das alles nichts an. In dem dunkel getäfelten Empfangszimmer hängt der Kopf zusammen mit Dutzenden anderen Tieren: mit Rehbockgeweihen und ausgestopften Wildschwein-Köpfen, Eulen, Eichelhähern, Eichhörnchen, Reihern und Frischlingen. Sogar ein Bär steht in der Ecke, aber der ist, wie der Elch, nicht aus dem Sauerland. Auf jeden Fall haben sich in den 600 Jahren, die der Jungfernhof in Balve-Garbeck im Besitz der Familie Lösse ist, einige Trophäen angesammelt. Doch für seine Jagdleidenschaft hat Bernward Lösse im Moment keine Zeit. Seit dem 18. Januar 2007 kämpft der Waldbauer aus dem Märkischen Kreis um seine Existenz. An diesem Tag hat der Orkan „Kyrill“ zwei Drittel seiner 300 Hektar Wald zerstört.

Nun muss Bernward Lösse viel telefonieren. Mit Kollegen, Förstern, Holzhändlern, Sägewerkern, Spediteuren, Politikern. Muss klären, wo er und die anderen 150 Waldbauern von der Forstbetriebsgemeinschaft Balve jetzt das viele Holz loswerden – zu einem annehmbaren Preis. In normalen Jahren bekommt Bernward Lösse 80 Euro pro Festmeter Holz. Wie viel es jetzt sein werden, kann er nicht sagen, die Verhandlungen laufen noch. Aber er schätzt, dass zur Zeit nicht mehr als 65 bis 70 Euro drin sind. Eine Katastrophe, wenn man 60.000 Festmeter umgeknickte Bäume hat, die man so schnell wie möglich verkaufen muss.

Das Telefongespräch ist beendet, Bernward Lösse setzt sich an den runden Holztisch unter die Rehböcke und Wildschweinköpfe und erklärt, warum er es so eilig hat mit dem Holzverkauf – jetzt, wo die Preise in den Keller gehen. „Sobald es warm wird, fangen die Käfer an zu fliegen und man wird langsam unruhig.“ Schon diese Woche könnte es soweit sein, dann kommt die Zeit der Borkenkäfer, Buchdrucker, Kupferstecher – und vor allem der Nutzholzbohrer. „Die gehen ins Holz rein, das ist schon rein optisch eine Entwertung.“ Immerhin mag der Nutzholzbohrer-Käfer kein ganz frisch bearbeitetes Holz. „Aber die Zeit läuft, sobald das Holz abgeschnitten ist.“

Und weil die Zeit drängt, ist Bernward Lösse auch so sauer auf die Politiker. „Die versprechen viel, aber bisher ist nichts passiert.“ Darum erhofft er sich auch nichts von der großen Kyrill-Konferenz, die heute in Siegen tagt. Die drei zuständigen NRW-Ministerien Umwelt, Verkehr und Wirtschaft haben nach Südwestfalen eingeladen, um mit Vertretern der Waldbauern und den örtlichen Behörden über die Folgen des Orkans und notwendige Hilfen zu reden. „Was soll dabei schon rauskommen“, sagt der gelernte Agraringenieur. Mit Politikern und ihren Versprechungen hat er so seine eigenen Erfahrungen: Vor gut einem Monat, an Aschermittwoch, war Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auf dem Jungfernhof und hat sich erkundigt nach den Nöten der Familie Lösse und der anderen Waldbauern in der Region. „Und da hat er gesagt, er habe mit einer größeren Firma einen Rahmenvertrag abgeschlossen über 2,6 Millionen Festmeter für 2007 und dasselbe nochmal für 2008.“ Aber seitdem hat Bernward Lösse nichts mehr davon gehört. „Schnelle, unbürokratische Hilfe hat Rüttgers versprochen, aber davon sehe ich im Moment nichts.“ Wütend hämmert er mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. „Dabei brauchen wir keine Almosen, wir brauchen einen guten Vertrag, dann reparieren wir unseren Wald und unsere Wege selbst.“

Doch nicht nur die schlechte Kommunikation „zwischen Düsseldorf und hier unten“ macht dem Waldbauern Sorgen. Auch in Südwestfalen selbst gibt es Interessenkollisionen bei den Aufräumarbeiten im Wald. „Die Touristiker sagen jetzt: ,Der Rothaarsteig muss auf, die Wege müssen wieder auf, die Touristen müssen wandern können.‘“ Das ist zwar verständlich, „die Tourismusbranche leidet natürlich auch“, weiß Bernward Lösse. Aber beides zugleich geht eben nicht und wo gearbeitet wird, haben die Spaziergänger nichts zu suchen. „Da müssen wir Prioritäten setzen, das sind unsere Wege und wir müssen unser Holz retten.“ Da fahren dann eben viele LKWs im Wald herum und machen die Wege kaputt.

Und wie geht es jetzt weiter? Bernward Lösse zuckt mit den Schultern, starrt Sekunden lang auf den Teller mit den selbst gedrechselten Holzostereiern. „Keine Ahnung. Die Arbeit von dreißig Jahren ist kaputt.“ Natürlich hat er schon so einiges erlebt: Orkan „Wibke“ 1990, die großen „Windwürfe“ gleich hintereinander im Herbst 1972 und im Frühjahr 1973. Verheerend war wohl auch der Schnee im Winter 1936, weiß Bernward Lösse von seinem Vater. „Damals haben wir 40 Hektar verloren.“ Aber so verzweifelt wie dieses Mal war die Lage noch nie. Seine Frau und er haben sogar schon darüber nachgedacht, „dass man das nicht mehr schafft“. Einen Teil des Waldes wird er wieder aufforsten, aber die Kosten dafür sind enorm – und in den nächsten Jahrzehnten wird die Familie an ihrem verbliebenen Wald nicht viel verdienen. Die Mutter musste schon ins Pflegeheim, „wegen dem ganzen Ärger. Sie braucht viel Pflege“. Und die Zeit hat er im Moment nicht. Ob es je wieder bergauf geht? Seinen drei Kindern kann Bernward Lösse jedenfalls nicht empfehlen, den Hof später zu übernehmen. „Sie sollen erst einmal einen Beruf lernen.“

Wieder klingelt das Telefon, das Holzgeschäft ruft. Der Vorsitzende der Forstbetriebsgemeinschaft Balve bellt fast in den Hörer: „Ich sitze hier auf heißen Kohlen. Montag kriegen wir sieben LKWs für eine Woche, die fahren bis in den Hunsrück. Vielleicht kriegen wir 3.000 Festmeter weg.“ So spricht keiner, der sich unterkriegen lässt.

Und dann muss er los in den Wald, Holz abmessen für den Lastwagen, der am Nachmittag kommen soll. Und nach den Leuten schauen, die ein Stück Buchenwald „aufarbeiten“ sollen. Bernward Lösse schwingt sich in seinen Geländewagen und fährt mit Tempo aus der Hofeinfahrt. Schnittig umfährt er die Straßensperre am Dorfende. „Dafür habe ich heute morgen gesorgt. Wegen dem Schnee fallen die Bäume jetzt um wie die Fliegen.“ Und das knallt jedes Mal wie ein Schuss, erklärt der Holzexperte. Als Kyrill tobte und „der Windwurf war, klang das wie im Krieg, wie hundert Maschinengewehre.“ Dass es kurz nach Frühlingsanfang noch einmal kräftig schneien und knallen muss, passt ihm gar nicht. Wie soll man da im Wald aufräumen. „Aber morgen ist der Schnee ja wohl wieder weg.“

Der Wagen rumpelt über den löchrigen Weg. Stumm zeigt Bernward Lösse auf die kahlen Stellen an den Hängen. Ganze Fußballfelder hat Kyrill in den Wald gefräst und mancherorts nur einzelne Fichten oder kleine Eichen stehen lassen, inmitten von Bergen umgeknickter Bäume. Am Wegrand türmen sich die Stapel der gefällten Stämme, bereit für den Abtransport. An anderen Stellen sind die Aufräumarbeiten schon beendet. „Zwei Schiffe voll habe ich schon weg, für ein Sägewerk in Baden-Württemberg.“ Bernward Lösse stoppt und kurbelt die Scheibe runter. „Die drei kleinen Bäume, die hier stehen, wissen Sie, was das ist? Das sind Mammuts. Die habe ich gepflanzt, weil ich Spaß dran habe.“ Während sich der Wagen wieder in Bewegung setzt, erzählt der Fahrer von seinem Wald. Über 80 Baumsorten gibt es hier. 70 Prozent sind zwar Fichten, die wachsen schnell, aber er hat alle möglichen Baumsorten angepflanzt. „Ich bin experimentierfreudig.“

Aber wenn die Grünen fordern, dass die Kyrill-Löcher mit Laubbäumen aufgeforstet werden, weil der Wald dann standhafter sein soll bei Stürmen, kann er nur müde lächeln. „Und was ist mit meinen Buchen und Eichen? Die sind auch umgefallen wie nichts.“ Außerdem ist Mischwald viel zu aufwändig, sagt Bernward Lösse leicht dozierend. „Wir müssen also überlegen: Pflanzen wir etwas, das schnell wieder Ertrag bringt – oder machen wir ein bisschen Ökologie?“ Für sich hat der Waldbauer die Entscheidung schon getroffen. Er wird Nadelhölzer pflanzen: Douglasien, die kommen auch mit den trockenen Sommern der Zukunft zurecht, pazifische Edeltannen, kanadische Hemlocktannen und Fichten. „Alles andere, Buchen und Eichen und so weiter, kommt, wie die Natur es bringt.“

Kurz bevor der Wirtschaftsweg wieder zur Asphaltstraße wird, die ins Dorf hinunter führt, stoppt Bernward Lösse den Wagen erneut. Er zeigt auf die zerlöcherten, weißen Hügel ringsum und seine Stimme wird ein wenig wehmütig: „Diese Landschaft wird auf Jahrzehnte ihr Gesicht verändern.“ Dann schüttelt er den Kopf und gibt Gas.

Als er im Jungfernhof aus dem Auto steigt, ist die Tatkraft in Bernward Lösse zurückgekehrt. Die schwere Holztür des Gutshauses ist noch nicht ins Schloss gefallen – da klingelt schon wieder das Telefon.