Bitte keine Überfreundlichkeit!

TAZ-SERIE STADTFLUCHT Diesen Sommer stellten wir Ausflugsziele vor, die man für 10 Euro erreicht. Die Reihe beendet ein Trip in die jüngere Vergangenheit – ins Seehotel Templin

Anstelle der „Straße der Besten“ hängen jetzt Vorher-Nachher-Fotos von Modernisierungs- maßnahmen

VON HELMUT HÖGE

Die Bahnfahrt nach Templin kostet 9 Euro 60, danach muss man sich zu Fuß durch die „Perle der Uckermark“ bis zum Lübbesee durchschlagen. Dort kann man aber das EU-geförderte, 409 Betten große „Ahorn Seehotel“ nicht verfehlen: Es besteht aus drei Zwölfgeschossern, die ein Ypsilon bilden, und einem dreistöckigen Wellness- und Spaßbereich mit zwei Diskos, mehreren Bars, Kino, Kegelbahn, Läden, Strandbar und dem „höchsten Panoramarestaurant“ weit und breit.

Das Ganze war vor 1990 ein FDGB-Ferienheim und gehört inzwischen der Westberliner „Hotelmanagement Company Albeck und Zehden“, die daneben auch Hotels unter dem Dach von „Crowne Plaza“, „Holiday Inn“ und „Best Western“ betreibt und im weltweiten Hotelketten-Ranking auf Platz 226 steht. All das wäre als Reiseziel nicht der Rede wert, wäre der Komplex in Templin nicht die reinste DDR-Oase – die dazu fast rein atmosphärisch ist, weil natürlich auch dort nun vordergründig der Westen in allen Ecken west. Bis hin zu ganzen Busreisegruppen aus Nienburg, Künzelsau, Passau und Emden. Auf dem riesigen Motorrad-Parkplatz hört man sogar Holländisch, Dänisch und Wienerisch.

Aber egal, woher die fast 1.000 Gäste kommen: Jeder spürt sofort, das hier ist noch voll authentisch. Und vielleicht auch noch die halb zum Komplex gehörende Templiner „Westernstadt El Dorado“, der Bootsverleih am See, die 36-Hektar-Parkanlage mit Gemüsegarten sowie der Minigolf-, Basketball-, Boule-, Valleyball- und Fußballplatz …

Zeitig aufstehen, früh ins Bett

Weiß der Teufel, wie die das schaffen. Erst mal natürlich mit dem Personal. Es hat einen wohnnahen Arbeitsplatz und wird anscheinend nicht zur Eile getrieben. Kein Stress. Zudem gelten im Seehotel noch die alten DDR-Öffnungszeiten: „Man muss zeitig aufstehen und früh ins Bett, sonst hat das hier keinen Zweck“, erklärt uns ein Gast aus Hamburg, der seit 2001 jedes Jahr kommt – wegen der vielen Alleinerziehenden „sogar gerne“. Auch wenn er sagen muss, dass man die schlecht wieder los wird.

Meist lernt er die Damen in der Disko „Seabar“ kennen. Dort schwofen Mütter mit ihren Kindern, Frauen miteinander und Männer ebenso, neben ehemaligen Motorradfahrern mit ihrem Rollstuhl und fast schon profihaft tanzenden älteren Ehepaaren. Nichts ist hier durchgestylt, alles atmet noch untergründig den soliden, auf Ewigkeit angelegten DDR-Gestaltungswillen.

Die „Seabar“ heißt im übrigen so, weil vorne ein großes Aquarium mit exotischen Fischen steht und hinten eine Cocktailbar mit Kellnerinnen im Schichtdienst, denen die einstige sozialistische Errungenschaft „Unfreundlichkeit“ inzwischen mitsamt der DDR abhanden gekommen ist, was wir als West-Gäste natürlich nicht groß bedauern. Immerhin: Bislang hat man jede verlogene amerikanische Überfreundlichkeit in den Brigaden, die jetzt Teams heißen, abwehren können. Das gilt auch für die Bedienung im Panoramarestaurant, die dafür eine ganze bayrische Reisegruppe schlagfertig mit leicht zotigen Anekdoten unterhält. Die Rentner werden sich an dieses überraschende gastronomische Erlebnis ganz sicher noch nach Jahren erinnern. So wie wir uns an eine andere Kellnerin erinnern, die uns bis zum Fahrstuhl nachlief, um sich für das nur unwesentlich erhöhte Trinkgeld zu bedanken.

Mindestens ebenso beeindruckend sind die hunderten Schwalben und Mauersegler, die am und auf dem Hotelkomplex brüten. Genau vor dem Panoramafenster an unserem Tisch stürzten sich die letzten Jungschwalben in Gruppenstärke in die Tiefe, um sich für ihren Flug in den Süden fit zu machen. Unten entdeckten wir später über der Lieferantenrampe ein Nest, in dem noch drei flugunfähige Jungvögel saßen, die gefüttert wurden – seltsamerweise von vier Schwalben.

Neben der Freitreppe zu den drei Frühstückssälen hat man an Stelle der „Straße der Besten“ jetzt Vorher-Nachher-Fotos von Modernisierungsmaßnahmen aufgehängt, die sich, so steht es da, der Mehrwertsteuer-Reduzierung verdanken. Aus einem Abstellraum wurde so beispielsweise ein Konferenzsaal. In der Lobby strahlen einen auf einer Fotowand die diversen Bereichsleiter an, nur die für die Schwimmhalle verantwortliche Bademeisterin guckt streng – und auch das wirkt sehr echt. Alles in allem: Das Seehotel Templin ist einen DDR-Besuch wert!