Jung, muslimisch, diskriminiert

ZUSAMMENLEBEN Ganz Deutschland diskutiert mal wieder über Integration und Islam. Aber was sagen junge MuslimInnen dazu? Ein Modellprojekt will’s wissen

„Diskriminierungen empfindet man schon als normal“

RUKEA, 21 JAHRE

VON CANSET ICPINAR

In einigen Wochen ist Abgabetermin. Younes Al-Amayra schreibt gerade seine Magisterarbeit. Vor fünf Jahren ist er aus Berlin nach Kiel gezogen, um dort Islam-, Politikwissenschaften und öffentliches Recht zu studieren – und obwohl die Zeit drängt, kommt er übers Wochenende nach Berlin. Nicht um sich zu amüsieren: Al-Amayra ist Teilnehmer der Dialogreihe „Juma, jung – muslimisch – aktiv“.

Das Modellprojekt unter der Schirmherrschaft von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) wurde als Antwort auf die Integrationsdebatte der letzten Monate ins Leben gerufen. Denn bei der Diskussion über Missstände in Migranten-Communitys geht es fast immer um Musliminnen und Muslime. Was diese selbst von dieser Diskussion halten, was es für sie bedeutet, derart im Mittelpunkt einer Debatte zu stehen, die eine ganze Republik bewegt, und zu welchen Themen junge Muslime selbst Diskussionsbedarf haben, darum soll es bei Juma gehen.

Junge deutsche Muslime von 15 bis 25 Jahren sollen bei regelmäßigen Treffen bis 2013 Themen bestimmen, die sie mit Politikern diskutieren möchten. In Arbeitsgruppen besprechen die TeilnehmerInnen Themen wie den innerislamischen Dialog, die politische Darstellung des Islams, das Bild von Konvertiten. Die meisten bewegt aber die Rolle der Medien in der Debatte über den Islam in Deutschland, und wie man sich als Muslim in diese Debatte einbringen kann.

Younes Al-Amayra engagiert sich in der Gruppe „Politischer Umgang mit dem Islam/Muslimen“. Dabei geht es ihm vor allem um die rechtliche Stellung des Islam in der Gesellschaft. Der in der DDR geborene und in Pankow aufgewachsene Sohn einer syrischen Mutter und eines palästinensischen Vaters war bis zum Abitur eher ein „Kulturmuslim“, wie er erzählt.

Krasse Erfahrungen mit Diskriminierung hat der 25-Jährige nicht gemacht. Doch nach den Anschlägen am 11. September 2001 habe sich die Stimmung verändert: „Ich wuchs unter Deutschen auf, von denen die meisten Atheisten waren. Die Frage der Herkunft spielte keine allzu große Rolle. Doch plötzlich häuften sich Fragen nach meiner religiösen Identität. Es hieß nicht mehr ‚Bist du Türke oder Araber?‘, sondern ‚Bist du Muslim?‘.“

Seither praktiziert Younes seine Religion intensiver und wird dadurch auch schon mal diskriminiert. So hat er bei seinem Umzug nach Kiel die Erfahrung machen müssen, dass ihm Wohnungen nicht vermietet wurden. „Am Telefon gab es keine Probleme, doch wenn ich zur Besichtigung vor der Tür stand, hieß es, das Objekt sei schon vergeben“, so der Student.

Muslime könnten sich nur dann als gleichwertige Bürger dieser Gesellschaft fühlen, wenn der Islam tatsächlich auch formal gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit anderen Religionsgemeinschaften stehe, sagt Al-Amayra: „Auch wenn das nicht alle Probleme aus der Welt schafft, wäre es zumindest ein Willkommenssignal“.

Menschen wie Younes Al-Amayra sind genau die Zielgruppe, die das Juma-Projekt ansprechen wollte, erklärt Sawsan Chebli, Referentin für Interkulturelle Angelegenheiten beim Innensenator. „Die TeilnehmerInnen hier sind junge Menschen, in deren Leben der Islam eine zentrale Rolle spielt und die sehr engagiert sind. Die jungen Leute sind nicht nur gebildete, praktizierende Muslime unterschiedlichster Herkunft, sie vertreten auch die unterschiedlichen Rechtsschulen des Islam und sind zudem theologisch fit.“

100 junge Muslime nicht nur aus Berlin sind zu den Projekttreffen Anfang und Mitte März gekommen. Schon an der Auftaktveranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus im Dezember hatten fast 300 teilgenommen. Mit einem derartig großen Interesse hätten die Initiatoren nicht gerechnet, sagt Kofi Ohene-Dokyi von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA), die das Projekt mit betreut.

Einmal im Monat wollen sich die Teilnehmer von nun an treffen, um Projekte und Ideen zu entwickeln, die ihrer ganz persönlichen Agenda entsprechen. Bewusst sollen die Treffen nicht in versteckten Hinterhofmoscheen, sondern an aussagekräftigen Orten wie etwa dem Abgeordnetenhaus oder dem Innensenat stattfinden. Die Botschaft: Die jungen Muslime wollen und sollen mit ihrer Meinung an die Öffentlichkeit. Der Kreativität der TeilnehmerInnen seien keine Grenzen gesetzt, sagt Chebli. „Interviews mit hochkarätigen PolitikerInnen, Studien, Filme oder Kundgebungen: Wir werden alle Ideen sowohl organisatorisch als auch finanziell unterstützen.“ Gesagt, getan: Beim nächsten Treffen der Juma geht es am Montag in den Deutschen Bundestag – mit einem Planspiel, bei dem die TeilnehmerInnen einen Tag lang in die Rolle eines Bundestagsabgeordneten schlüpfen können.

Eine Idee wurde bereits bei den ersten Treffen der jungen Leute heiß diskutiert: die Muslimquote. Die Schwestern Rukea und Atika sind da allerdings skeptisch. Irgendwann komme jeder mit dem Wunsch nach einer Quote, sagt Rukea: „Solche erzwungene Eingliederung bestimmter Gruppen könnte anders als beabsichtigt Diskriminierung weiter schüren.“

Dabei haben die beiden, im Gegensatz zu Al-Amayra, öfter Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Selbst an der Uni hätten viele Menschen Vorurteile, sagt Atika. „Wenn Gruppen für Referate gebildet werden, finden sich die Ausländer zusammen, und Deutsche bleiben für gewöhnlich unter sich“, erzählt sie. Dies betreffe aber nicht nur Muslime, sondern fast alle ihrer ausländischen KommilitonInnen. Rukea berichtet sogar von verbalen Übergriffen: „Eine Lehrerin hat zu mir gesagt, der Anblick einer Frau mit Kopftuch sei eine Beleidigung für ihre Augen.“ Später habe sie sich bei ihr entschuldigt.

Dass ihre Kopftücher womöglich diskriminierungsverstärkend wirken, sehen die beiden Schwestern schon. Aber Muslime würden insgesamt nicht von der Gesellschaft akzeptiert: „Diskriminierungen sind so alltäglich, dass man sie als als normal empfindet“, sagt Rukea. In London sei das ganz anders. Dort hat sich die 21-Jährige um einen Studienplatz für abrahamitische Religionen beworben. „Wir hatten da das erste Mal das Gefühl, auf der Straße nicht angestarrt oder anders behandelt zu werden. „Ein Verkäufer nannte mich sogar ‚Darling‘ “, erinnert sich Atika. Ob Rukea nach London gehen wird, steht noch nicht fest: Das Studium dort ist teuer. Sie hofft aber, dass, wenn sie nach London zieht, es für sie auf Dauer dort besser läuft als hier.

Ob sie in Deutschland bleiben wollen, wissen die beiden Töchter einer Deutschen und eines Marokkaners noch nicht. Aber ebenso wenig würden sie nach Marokko auswandern. „Deutschland hat auch seine schönen Seiten“, sagen die Schwestern. „Aber vielleicht müssen wir einfach eine Weile woanders leben, bevor wir entscheiden, ob wir hier leben können.“

Mehr Infos: www.juma-projekt.de