Schlaf, Jugendlicher, schlaf

FOTOGRAFIE Die israelisch-schweizerische Fotografin Naomi Leshem über ihr neues Projekt „Sleepers“, für das sie schlafende Jugendliche porträtiert hat

taz: Frau Leshem, Ihr Thema ist das Werden und Vergehen, von Orten wie von Menschen. Für Ihr neues Buch „Sleepers“ fotografierten Sie schlafende Jugendliche in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und New York. Wie kamen Sie darauf?

Naomi Leshem: Wie bei allen Projekten war plötzlich ein Bild da. Als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es das reinste Portrait ist. Der Schlafende ist sich nicht bewusst, dass er fotografiert wird. Wichtig war, dass die Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren alt waren – auf dem Höhepunkt ihrer Stärke. Die Bedeutung von Schlaf in der Kultur ist stets die von einem Zustand zwischen Leben und Tod, zwischen Bewusstsein und Fortsein. Der Widerspruch zwischen der Lebendigkeit und der Ruhe und Verletzlichkeit gefiel mir – in Kombination mit dem Zustand des Zwischendrinseins der Jugendlichen, irgendwo zwischen Junge und Mann, Mädchen und Frau.

Noch ein Kontrast fällt auf: Die Bilder sind hell, obwohl wir Schlaf mit Dunkelheit verbinden.

Das ist Studiolicht. Angelehnt ist es an klassisches Licht wie bei Carravagio, aber die Bedeutung des Schlafs ist eine ganz andere, modernere, als bei den klassischen Gemälden, wo Männer nach der Jagd schlafen.

Das Ergebnis sind Portraits von sehr schönen Menschen.

Ja, ich musste mehrfach hören, dass ich schöne Menschen gewählt habe. Von einigen wusste ich aber vor dem Fototermin nicht, wie sie aussehen, es war nicht wichtig. Ich glaube, die Kombination aus Ruhe, entspannten Muskeln und Blutzirkulation macht sie schön.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Dass jeder gleich schläft. Zwar hat man Zeremonien des Ins-Bett-Gehens. Aber jeder hat die gleichen Schlafphasen. Und: an der Bettwäsche, den Zimmern, sieht man den Charakter. Außerdem hat mich erstaunt, wie lebendig alle aussehen. In der Fotografiegeschichte sehen Schlafende oft tot aus.

Über die wissenschaftliche Aspekte haben Sie sich hinterher informiert?

Ja, weil ich auf den Bildern Dinge entdeckt habe, die ich nicht verstanden habe, wie die roten Lippen der Jugendlichen. Ein Schlafexperte konnte mir viel erklären: ob sie wirklich schlafen oder woran man sieht, in welcher Phase sie sind.

In „Lizette“ haben Sie die Entwicklung eines Ortes dokumentiert, in „Runways“ junge Mädchen vor ihrer Armeezeit. Ist das Zwischendrin Ihr Thema?

Ja, auch „Sleepers“ passt da hinein. Ich mag es, wenn etwas noch nicht feststeht. Fotografie bedeutet Einfrieren. Ich finde es spannend, es als Methode zu verwenden, um einen Prozess zu zeigen.

Für das „Sleepers“-Buch haben verschiedene Autoren Texte geschrieben – ein neues Konzept für Sie.

Dafür habe ich Vertrauen in die Autoren gebraucht. Normalerweise ist meine Arbeit einsam. Aber das Ergebnis war toll: Ich habe eine Idee, an der Wand entwickelt sie ein Eigenleben, im Text ein weiteres. Schließlich kommt hinzu, was der Leser empfindet. Das ist ein schöner Prozess. INTERVIEW: LEA HAMPEL

■  Naomi Leshem, 47 Jahre, gehört zu den renommiertesten Fotografinnen Israels. Mit ihren beiden Töchtern lebt sie in der Nähe von Tel Aviv

■  Naomi Leshem: „Sleepers“. Hg. v. Michael Guggenheimer und Peter Röllin. Mit Texten von David Albahari, Ulla Hahn u. a. Benteli Verlag, Sulgen 2011, 112 Seiten, 40 Euro

■  Buchpräsentation heute, 19 Uhr, im Bücherbogen am Savignyplatz