Die Stadt der Religionen

VIELFALT Im schleswig-holsteinischen Friedrichstadt lebten einst Angehörige von zehn Glaubensrichtungen friedlich zusammen – davon ist auch heute noch einiges zu spüren

Er in Pumphose und Holzschuhen, sie im weiten Rock – das Stadtführerpaar von Friedrichstadt ist eine echte Schau. Nur historisch stimmt wenig an der Tracht: „Es sieht so aus, wie Deutsche sich holländische Kleidung vorstellen, also ein bisschen wie Frau Antje aus der Käsewerbung“, sagt die Stadtarchivarin und Museumsleiterin Christiane Thomsen. „Holländer sind eher erstaunt, wenn sie das erleben.“

Ansonsten aber fühlen sich Gäste aus den Niederlanden in dem schleswig-holsteinischen Städtchen an der Eider fast wie zu Hause. Denn Friedrichstadt, gegründet 1621 vom Herzog Friedrich III. von Schleswig-Gottorf, ist geprägt von Einwandern aus Holland, die während des 30-jährigen Krieges vor religiöser Verfolgung fliehen mussten. Das Glaubensbekenntnis der Remonstranten widersprach der strengen calvinistischen Lehre.

Die Remonstranten waren nicht die einzigen Zuwanderer, die Friedrich in seine neue Stadt einlud. Angehörige von zehn Religionen lebten zeitweise dort, heute sind es noch fünf: Lutheraner, Katholiken, dänische Katholiken, Mennoniten und Remonstranten. Die religiöse Vielfalt lässt sich bereits an der Stadtsilhouette erkennen. Auf engem Raum ragen drei Kirchtürme in den Himmel – für die katholische, evangelische und remonstrantische Gemeinde.

Die Synagoge, ein Flachbau aus gelben Ziegelstein, wurde im 19. Jahrhundert erbaut, während der NS-Zeit entweiht und zu einem Wohnhaus umgebaut. Sie beherbergt heute ein Kulturzentrum. Versteckter ist der Gebetsraum, den sich heute die dänischen Katholiken und die Mennoniten teilen, er liegt in einem Nebenraum des städtischen Museums Alte Münze.

Im Alltag spielt das Nebeneinander der Religionen heute kaum mehr eine Rolle, sagt Thomsen. Früher aber war Friedrichstadt als „Stadt der Toleranz“ bekannt: So richtete die jüdische Gemeinde noch im Jahr 1929 ihr Ritualbad, die Mikwe, im Gemeindehaus der Remonstranten ein. Friedrichstadt gehörte wie Rendsburg, Altona und Glückstadt zu den einzigen Städten in Schleswig-Holstein, in denen Juden sich im 17. Jahrhundert frei niederlassen durften. Im 20. Jahrhundert zogen die meisten weg, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, denn Friedrichs Städtchen erfüllte nie die Träume des Herzogs: Zur Handelsmetropole reichte es nicht.

ESTHER GEISSLINGER