Das Künstlerhaus wird zum Restposten

Eine Ateliergemeinschaft bringt Farbe in den Wedding. Doch ihr Haus steht zum Verkauf. Der Liegenschaftsfonds will es im Paket mit 44 Objekten an Großinvestoren verscherbeln. Kleine Initiativen können da nicht mithalten. Nun üben die Künstler die Interpretation von Verkehrswertgutachten

von Christoph Villinger

Viele Flure sind voller Kunstwerke, Licht durchflutet das unter Denkmalschutz stehende Gebäude im Bauhausstil. 14 KünstlerInnen nutzen den in den 50er-Jahren errichteten sechsstöckige Industriebau. Die Ateliergemeinschaft „Wiesenstraße 29“ ist ein kultureller Farbfleck im Wedding – und ein unscheinbarer Posten in einem Sonderangebot des Liegenschaftsfonds.

Die KünstlerInnen fürchten nun um ihren Arbeitsplatz. Denn völlig überraschend mussten sie im September feststellen, dass ihr Haus zum Verkauf ausgeschrieben ist, als Beigabe zu einem Immobilienpaket des Liegenschaftsfonds (Lifo). Insgesamt „45 Objekte in einer Mischung aus bebauten und unbebauten Grundstücken in allen Teilen der Stadt“ hat der eigens zum Verkauf städtischer Grundstücke gegründete Fonds unter anderem auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real angeboten. Im geschnürten Paket befinden sich „gute, mittlere und schlecht verkäufliche Gewerbegrundstücke“, heißt es beim Liegenschaftsfonds (siehe Kasten).

Die Wiesenstraße 29 gehörte wie viele Grundstücke in der Nachbarschaft dem Druckmaschinenhersteller Rotaprint. Als das Gelände Ende der 80er-Jahre in den Besitz des Bezirks Wedding überging, vermietete dieser die leer stehenden Etagen an KünstlerInnen. Doch 2001 musste der Bezirk das Haus an den Liegenschaftsfonds übertragen, der es vermarkten soll.

„Seitdem suchen wir gemeinsam mit dem Bezirk und dem Senat nach einer Lösung, um diesen einzigartigen Atelierstandort zu erhalten“, erzählt Jörg Bürkle, Sprecher der Ateliergemeinschaft. Die Gruppe hatte sich relativ sicher gefühlt. Schließlich hatten der Finanz- und der Kultursenator im Jahr 2001 schriftlich versichert, dass „der Lifo die Interessen vor Ort angemessen berücksichtigen werde unter Einbeziehung aller beteiligten Dienststellen“. Doch die Senatoren heißen damals noch Peter Kurth und Christoph Stölzl. Die CDU-Politiker haben schon lange nichts mehr in Berlin zu sagen. Und die Nachfolgeregierung fühlt sich offenbar wenig an das Wort ihrer Vorgänger gebunden.

„Wir wurden weder informiert noch gefragt“, empört sich Jörg Bürkle. Doch Fonds-Sprecherin Irina Dähne will die Aufregung der KünstlerInnen nicht verstehen: „Die wissen doch seit Jahren, dass wir versuchen, das Grundstück zu verkaufen.“ Weil dafür als einzelnes Objekt kein Käufer gefunden wurde, kam es mit in den Paketverkauf. „Jedes einzelne Grundstück im Paket wurde vom politisch besetzten Aufsichtsrat des Lifo abgestimmt“, betont Dähne. Zudem könne die Ateliergemeinschaft noch bis Jahresende ein Angebot zum Verkehrswert machen, „dann wird sicher verhandelt“.

Diese Möglichkeit hätten sie zum einen erst bekommen, nachdem sie mehrere Abgeordnete eingeschaltet hatten, berichten die KünstlerInnen. Problematischer aber ist der vom Liegenschaftsfonds auf 590.000 Euro bezifferte Wert des Hauses. Das sei „völlig überteuert“, meinen die KünstlerInnen.

Laut Liegenschaftsfonds muss das Ateliergebäude für rund 150.000 Euro saniert werden. Ein vereidigter Bausachverständiger schätzt den tatsächlichen Sanierungsbedarf allein für das Gebäude auf über 1 Million Euro.

Die einzige sinnvolle Lösung bestehe darin, es aus dem Paketverkauf herauszunehmen, als Atelierstandort zu entwickeln und die Sanierung nicht aus der Miete, sondern aus Eigenleistungen und Drittmitteln zu bezahlen, argumentiert die KünstlerInnengruppe. Sie gründet nun einen Verein, um „das Atelierhaus in eigener Regie spekulationsfrei und denkmalgerecht zu entwickeln“, wie sie in einem Flugblatt schreiben.

Etwas neidisch schaut die Weddinger Ateliergruppe zur Zeit nach Neukölln. Seit dort die soziale Desintegration weithin öffentlich diskutiert wird, fließen auf einmal Millionen in die Kunst- und Kulturförderung. Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) setzt sich dafür ein, die ehemalige Kindl-Brauerei zu einem stadtteilnahen Kunst- und Kulturzentrum zu entwickeln.

Ähnlich gelagerte Probleme finden weiter nördlich offensichtlich nicht die dieselbe Würdigung. „Muss immer erst ein Desaster entstehen, bevor sich vernünftige Gedanken durchsetzen?“, fragen sich die Weddinger KünstlerInnen.

Weitere Infos im Internet unter www.wiesenstrasse29.de und www.liegenschaftsfonds.de