Die hilflosen Helfer

RETTUNGSARBEITEN Die Lage der Arbeiter an den Reaktoren ist verzweifelt. Mögliches Horrorszenario: Bei zu viel Strahlung werden die Atomkraftwerke sich selbst überlassen

„Es herrscht Chaos“, sagt ein Experte. Die Helfer hätten nicht die nötigen Werkzeuge, Mittel und Pläne

VON BERNHARD PÖTTER

Für die Rettungskräfte in Fukushima I brachte der Dienstagabend einen Vorgeschmack auf ein mögliches Horrorszenario der Zukunft: Verstrahlung oder Aufgabe. Weil die radioaktive Belastung zu stark wurde, wurden die insgesamt 800 Einsatzkräfte abgezogen und die teils brennenden und strahlenden Reaktoren zum großen Teil sich selbst überlassen. Nur eine Kernmannschaft von 50 Technikern blieb vor Ort. Erst am Mittwochvormittag um 11.30 Uhr kehrten die Mannschaften zurück und nahmen ihren Kampf gegen die Zeit wieder auf: Wenn sie die Reaktoren noch etwa eine Woche lang am Schmelzen hindern, steigt die Chance, die ganz große Katastrophe zu verhindern.

An den Reaktoren selbst wird die Arbeit allerdings immer gefährlicher: Noch am Dienstagabend hatten Messwerte von 1.000 Millisievert zur Räumung geführt, bei der Rückkehr lagen die Werte nach Erklärungen der AKW-Betreiberfirma Tepco immer noch bei 600 bis 800 Millisievert. Ab einer Belastung von 100 Millisievert können sich nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) „akute Anzeichen von Strahlenkrankheit“ wie Haarausfall, Übelkeit oder Schwindel zeigen, ab 1.000 Millisievert wird die Strahlung lebensbedrohlich.

Die etwa 800 Helfer bestehen zum größten Teil aus dem technischen Personal des Atomkraftwerks. Über die Arbeitsbedingungen an der Unglücksstelle gibt es von den Betreibern, den japanischen Behörden und der Internationalen Atomorganisation IAEO kaum offizielle Informationen oder Bilder. Inzwischen ist nach Berichten japanischer Medien ein Ärzteteam aus Hiroshima vor Ort, das spezialisiert für die Betreuung von Strahlenopfern ist. Komei Hosokawa, Umweltwissenschaftler an der Universität Kioto Seika, zitiert interne Informationen der Behörden, wonach das Gesundheitsministerium in Tokio die erlaubte Dosis für Arbeiter an den Blöcken von 100 Millisievert auf 250 Millisievert angehoben habe. Auch die Strahlenbelastung sei auf dem Gelände sehr unterschiedlich, so Hosokawa in einer Mail an die taz. Am Werkstor liege der Wert nur bei 10 Millisievert, aber „an den Reaktoren und Abklingbecken können es mehrere hundert Millisievert sein. Das macht den Zugang zu Block 2 und 3 extrem gefährlich.“

„Alles, was die Mannschaften seit Freitag da machen, kommt aus der puren Verzweiflung“, sagt Gerald Kirchner vom BfS. Es fehle an den meisten technischen Einrichtungen, vieles müsse improvisiert werden: Gekühlt werden die Reaktoren mit Meerwasser aus Feuerwehrschläuchen, deren Pumpen allerdings immer wieder ausfallen. Die Helfer suchen nach intakten Rohrleitungen, um das Wasser zur Kühlung an die glühenden Brennstäbe zu bekommen. Da es keine geschlossenen Wasserkreisläufe mehr gibt, wird der radioaktive Wasserdampf dann immer wieder in die Umwelt abgelassen, ehe neues Wasser in die Reaktoren gepumpt wird. Ein Brennelementebecken, das trockengefallen war, wird durch die Pumpe eines Feuerwehrautos aufgefüllt. Es gibt Pläne, die Reaktoren mit einem Wasserwerfer zu kühlen.

„Es herrscht Chaos“, sagt Richard Donderer, stellvertretender Leiter der deutschen Reaktorsicherheitskommission über die Situation der Helfer. Die Prioritäten der Arbeit seien offenbar nicht klar, außerdem müssten viele Arbeiten per Hand erledigt werden, weil die Steuerungssysteme ausgefallen sind. Die Arbeiter seien mit Gasmasken und in Schutzanzügen unterwegs, um Messgeräte abzulesen oder Ventile aufzudrehen, „das ist jetzt alles Handarbeit“. Gegen die aggressiven Gammastrahlen helfen aber auch Schutzanzüge wenig. Andere Experten meinten, es gebe am Standort Fukushima I weder die Werkzeuge noch die Mittel noch die Vorschriften, mit denen die Situation entschärft werden könnten.

Die Lage an den Reaktoren spitzte sich am Mittwoch weiter zu. Nach Informationen der „Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit“ (GRS) waren im Block 1 etwa 70 Prozent der Brennstäbe beschädigt, in allen Reaktoren ragten sie teilweise mehrere Meter aus dem Wasser. Immer wieder entzündeten sich Brennelemente in den Abklingbecken neben den Reaktoren, nach einem solchen Brand werden zwei Mitarbeiter vermisst. Eines dieser Feuer sei nur durch Zufall entdeckt worden, hieß es. An Block 4 klafft nach einer Explosion ein großes Loch. Auch die Brennelemente an Block 5 und 6 heizen sich auf (s. Text rechts).

Der Versuch, ein leeres Brennelementelager aus der Luft mit einem Helikopter aufzufüllen, wurde wegen zu starker Strahlung abgebrochen. Trotz dieses Misserfolgs sei das auch ein gutes Zeichen, findet Richard Donderer: „Das bedeutet, dass die Betreiber trotz aller Dramatik noch auf die Gesundheit der Menschen achten. Japan hat eben ein Rechtssystem, wo man die Menschen nicht zwingen kann, sich selbst zu gefährden.“ Gefährdung und Belastung für die Helfer seien groß, aber „kein Vergleich zu Tschernobyl“.

Dort wurden 1986 nach dem Super-GAU etwa 600.000 „Liquidatoren“ ohne Informationen oder ordentliche Ausrüstung ins nukleare Feuer geschickt. Viele von ihnen mussten ohne Schutzkleidung auf dem Dach des explodierten Reaktors den extrem verstrahlten Müll beseitigen. Bauarbeiter, Bergleute, Techniker und Soldaten wurden dabei Strahlendosen von bis zu 6.000 Millisievert ausgesetzt, ohne sie über die Risiken informiert zu haben. Tausende starben an der Strahlenkrankheit oder an Spätfolgen wie Krebs.