Mit Grandmaster Flash im Ferienidyll

COSBY-FAMILIE Die Generation Obama macht ein neues Fass auf: „Letzter Sommer auf Long Island“ von Colson Whitehead

Es war Mitte der Achtziger, als die „Bill Cosby Show“ auch im deutschen Fernsehen ihren Siegeszug antrat. Ein Gynäkologe, eine Anwältin und ihre fünf Kinder, eine Familie der gehobenen Mittelschicht – und zwar schwarz. Ein schönes Haus, alltägliche Sorgen und Nöte. Theo und Denise, die pfiffigen Teenager mit den geometrischen Frisuren und den übertreibenden Schulterpolstern – sie wären heute um die vierzig.

Um die vierzig ist auch Colson Whitehead, der mit Autoren wie Jonathan Lethem, Jeffrey Eugenides und Jonathan Safran Foer zu den smart guys der jungen amerikanischen Literatur gezählt wird – zu den privilegierten, neunmalklugen Bescheidwissern, die ehrgeizig sind, nachdenklich, in Brooklyn lebend, irgendwie popsozialisiert, irgendwie links. Colson Whitehead ist schwarz, war auf Privatschulen und in Harvard und Popredakteur bei der Village Voice. In seinem neuen Buch „Letzter Sommer auf Long Island“ schreibt er: „Wir waren eine Cosby-Familie, auf dem Papier vorbildlich. Der Vater Arzt, die Mutter Anwältin. Drei Kinder mit sauberen Fingernägeln und guten Manieren.“

Auf den ersten Blick ist „Letzter Sommer auf Long Island“ ein unaufgeregter Adoleszenzroman über den ereignislosen Sommer 1985 eines 15-jährigen Benji im Ferienparadies der Eltern. Wieder geht es – wie in den vorangegangenen Büchern Colson Whiteheads und vielen Büchern Jonathan Lethems auch – enzyklopädisch zu. Man mäandert unbeschwert durch eine Art Sittengeschichte der Achtziger, erinnert sich an Lustiges, an Verirrtes, überblättert Passagen und bleibt dafür in anderen hängen, die so viel auslösen, dass man meint, sich auch mal wieder ein Softeis gönnen oder eine alte Platte von Grandmaster Flash anhören zu müssen. Und man freut sich – und dies geht vor allem an die Kritiker Colson Whiteheads, die meinen, er stünde seinen Figuren kaltschnäuzig gegenüber – an der Liebe zum völlig in sich selbst verwickelten, grübelnden Teenager, der qua Identifikationspotenzial dieses Buch zum schönsten von Colson Whitehead bis jetzt macht.

Und dann, auf Seite 193, diese Sache mit Bill Cosby, die Serie, die damals jeder guckte, auch die Familie Benjis, wie es heißt. Plötzlich fällt es einem auf. Dieser Roman macht uneitel, nonchalant und durch die Hintertür ein ganz neues Fass auf. Hier geht es nicht nur um ganz normale Teenagerangst, hier geht es, vielleicht zum ersten Mal in der afroamerikanischen Literatur, um die Identitätssuche einer Generation, die man die Bill-Cosby-Generation nennen könnte. Man könnte sie auch Generation post-black oder Oreo nennen (außen schwarz, innen weiß). Oder Generation Obama. Der Horror des Rassenhasses ist nicht mehr alles. Benji ist womöglich der erste schwarze Teenager in der Literatur, der sich aussuchen kann, wer er werden will.

Benji, der ungelenke Nerd, hadert und hofft und träumt nicht nur einfach vor sich hin. In Manhattan geht er auf eine vor allem weiße Privatschule, hört die Smiths, Bauhaus und Depeche Mode. Hier, in Sag Harbor, einer Ferienhausidylle auf Long Island, die noch vor dem Krieg der Bürgerrechtsbewegung von der Großelterngeneration gebaut wurde, ist man aber unter sich. Benjis Peergroup hat Schwierigkeiten damit, die richtigen handshakes auf die Reihe zu bekommen. Die harten Attitüden der black power men der Sechziger können nicht als Vorbild dienen – Benji hat so seine Probleme mit den Wutausbrüchen des Vaters. Auch taugen die Gangster der aufkommenden HipHop-Bewegung kaum zur Nachahmung. Das Schlimmste, was hier passieren kann: Die Gang, die keine echte werden wird, liefert sich eine Schießerei mit Luftgewehren. Nicht schwer zu erraten, wen es – natürlich auf harmlose Art – als Ersten trifft. SUSANNE MESSMER

Colson Whitehead: „Letzter Sommer auf Long Island“. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2011, 326 Seiten, 21,90 Euro