Für die Freiheit in die Illegalität

UNTERGRUNDPRESSE II Wie die unabhängige Presse in Afghanistan der Zensur entkommt – und was die Arbeit im Untergrund für die Journalisten bedeutet

VON MIRKA BORCHARDT
UND JONAS WEYROSTA

„Wenn ihr nicht aufhört, bringen wir euch um“ – Sayed Ahmad Hashemi bekam häufig Drohungen dieser Art. Er war Herausgeber der regimekritischen Zeitung Payman Daily, die bis 2009 in Afghanistan erschien. Wegen angeblich islamkritischer Inhalte wurde sie vom Obersten Rat der Geistlichen verboten. Bis dahin galt Payman Daily als eine der seriösesten und bestinformierten Tageszeitungen Afghanistans.

Grundsätzlich ist Zensur in Afghanistan verboten. Aber das Mediengesetz enthält eine Ausnahme: Islamische Werte dürfen nicht in Frage gestellt werden. „Hier ist viel Interpretationsspielraum“, sagt der Radiojournalist Abasin Azarm, der in Afghanistan mehrere Radiosender mitaufbaute. „Wer eine Redaktion schließen will, findet immer islamkritische Inhalte.“

Es gibt in Afghanistan verschiedene Machtgruppen, Taliban, Warlords, fundamentalistische Islamgelehrte und Regierungsvertreter. Sie alle bekämpfen den freien Journalismus in Afghanistan. „Sie sehen uns als Gefahr, da wir das System kritisieren. Im Grunde kämpfen wir nur für eine Alternative zur korrupten Elite“, sagt Hashemi, der sein Blatt in der „moderaten Mitte“ ansiedelt.

Er und seine Frau Masha Taee, Chefredakteurin von Payman Daily, gingen deshalb ins ausländische Exil, um von dort aus ihren Kampf für eine freie Presse fortzusetzen: In der Internetzeitung „Mahaknews“ schreiben sie weiter über Missstände. Ihre ehemaligen Kollegen befinden sich unterdessen noch in Afghanistan und berichten nun unter Pseudonym für Mahaknews weiter.

Wie schützen sich die Journalisten im Untergrund? Sie müssen ständig ihre Handynummer ändern, jede Nacht woanders schlafen und von Print- auf Onlinemedien umsteigen, weil drucken zu gefährlich ist.

Auch in der Illegalität bedienen sich die Journalisten derselben Informationsquellen. Darunter befinden sich auch Informanten aus Regierungskreisen. „Die afghanischen Strukturen sind für ausländische Berichterstatter nur schwer zu durchschauen. Auch unter Personen in hohen Regierungsämtern befinden sich Karsai-Kritiker“, sagt Hashemi. Für die Unterdrückung der Medien ist nicht allein Präsident Karsai verantwortlich. Warlords, Taliban, Fundamentalisten wie der Oberste Rat der Geistlichen und die Regierung konkurrieren um Einfluss. Um an der Macht zu bleiben, muss Karsai den religiösen Eiferern Zugeständnisse machen: In den meisten Fällen initiiert der Geistlichenrat die Zensurmaßnahmen, weil er keine nackten Arme im Fernsehen sehen will oder sich von westlichen Videoclips gestört fühlt, berichtet der Journalist Azarm. Karsai hingegen halte es nicht zwangsläufig für schädlich, wenn sich die Bevölkerung gut unterhalten fühle.

„Um politisch kritisch zu berichten, wäre es eigentlich nicht nötig, in den Untergrund zu gehen. Das Problem ist religiöse Kritik“, sagt Azarm. Umgekehrt könne das lückenhafte Mediengesetz Karsai als willkommenes Instrument dienen, sich unangenehmer Presse zu entledigen, meint Azarm. Hier sind sich die Mächtigen im Kampf gegen die freie Presse einig: So verhindern sie gemeinsam, dass ihre Verstrickungen in Gewalttaten und Korruptionsfälle aufgedeckt werden können. „Für mich ist der einzige Weg zu einer freien Presse und Meinungsentfaltung die strikte Trennung zwischen Staat und Religion in Afghanistan.“