„Volle Teller wichtiger als volle Tanks“

Bei Kraftstoffen aus Biomasse muss man sehr genau hingucken, woher sie stammen, meint Bärbel Höhn, die Vizechefin der Grünen-Bundestagsfraktion. Sie fordert eine Zertifizierung für den Anbau von Energiepflanzen – und Biogas statt Biosprit

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Frau Höhn, die Verbindung ist schlecht. Sie sitzen gerade im Zug. Fahren sie kein Auto?

Bärbel Höhn: Selten. Mein Mann und ich wohnen fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Wir haben aber auch ein Auto – einen Opel Zafira mit Erdgasantrieb.

Könnte der auch mit Biogas fahren?

Natürlich, leider gibt es aber nur eine Biogas-Tankstelle in Deutschland. Und die ist in Gorleben.

Aha, deshalb setzen Sie sich so sehr für die Nutzung von Biomasse als Rohstoff ein …

Nein, es spricht einfach viel für Biogas. Zum Beispiel die Flächeneffizienz: Aus einem Hektar Ackerfläche lässt sich Biodiesel für eine Fahrstrecke von 20.000 Kilometern gewinnen. Mit Biogas schafft man rund 70.000 Kilometer.

Klingt nicht schlecht. Aber dazu müsste man viel mehr Energiepflanzen anbauen.

Das muss man, denn wir wollen ja unsere Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten verringern. Sonst ist das Gejammer beim nächsten Pipelinestreit wieder groß.

Das führt doch aber zu einer Konkurrenz zwischen Nahrungsmitteln und Energiepflanzen. In Mexiko sind die Tortillas für arme Menschen mittlerweile zu teuer, weil die USA den Mais für die Produktion von Sprit brauchen.

Das ist nicht der einzige Grund. In Mexiko hat der Wettbewerbsdruck durch die Nafta dazu geführt, dass viele Kleinbauern den Maisanbau aufgegeben haben. Deshalb ist das Land jetzt viel anfälliger für die Entwicklungen auf dem Weltmarkt. Die steigende Produktion von Bioethanol ist aber in der Tat ein Faktor, der die Preise treibt. Grundsätzlich gilt: Volle Teller sind wichtiger als volle Tanks.

Wie wollen Sie denn verhindern, dass ein Entwicklungsland seine begrenzten Ackerflächen zur Produktion von Biosprit für die Industrieländer nutzt – im Zweifel zu Lasten der eigenen Bevölkerung?

Wir brauchen eine Zertifizierung. Man kann Standards für einen ökologischen und sozial nachhaltigen Anbau festlegen. Brasilien, das mittlerweile etwa die Hälfte seines Zuckers zu Bioethanol verarbeitet, hat sich da zum Beispiel offen gezeigt.

Gilt das auch für Palmöl aus Indonesien? Für die Plantagen dort wird Regenwald abgeholzt.

Nein, Indonesien bekommt einen nachhaltigen Anbau offenbar nicht hin. Öko-Label helfen gar nichts, wenn die Regierung nicht die Einhaltung der Standards kontrolliert. Das bedeutet, wir dürfen kein Palmöl aus Indonesien importieren, solange sich die Situation dort nicht ändert.

Aber woher sollen die Rohstoffe dann kommen?

Wenn möglich von den verschiedensten heimischen Pflanzen. Stroh, Grün- und Heckenschnitt können auch als Energielieferant eingesetzt werden.Und wir dürfen nicht nur auf die Felder schielen. In Klärschlamm steckt zum Beispiel ein höherer Heizwert, als in der Braunkohle. Gas von Kläranlagen, Kohlegruben, Mülldeponien. Das kann man alles nutzen.

Tatsache ist aber, dass der Hype um die Biokraftstoffe schon jetzt zu Monokulturen in Deutschland führt. Mais im Münsterland, Raps in Ostdeutschland …

Ja, das ist ein Problem. Aber deshalb muss man doch nicht die Energieproduktion aus Biomasse ablehnen. So etwas lässt sich mit entsprechenden Vorgaben verhindern. Wer als Landwirt eine Biomasse-Anlage betreibt, bekäme zum Beispiel nur dann eine Förderung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, wenn er bestimmte Fruchtfolgen einhält und eine vielfältige Landwirtschaft betreibt.

Also übertreiben Ihre Parteikollegen im Europaparlament? Die haben vor dem Einsatz von biogenen Kraftstoffen gewarnt.

Es ist richtig, die Risiken zu benennen. Aber wir können Lösungen dafür finden. Zertifizierung, Diversifizierung, zielgerichtete politische Förderung – wir haben viele Möglichkeiten.