Das große Friedhofsterben

Gestiegene Lebenserwartung und ein Wandel der Bestattungskultur bescheren den Friedhöfen immer mehr Leerstand. Der Senat plant Schließungen – ein Drittel der Friedhofsfläche sei überflüssig

von MARKUS WANZECK

Gestorben wird immer. So lautet der Slogan der erfolgreichen Bestattungsfernsehserie „Six Feet Under“. Eine Binsenweisheit? Blickt man auf die Berliner Sterbestatistik der letzten Jahrzehnte, zeigt sich: Gestorben wird immer weniger. Gab es 1970 noch 58.034 Todesfälle, so waren es im vergangenen Jahr nicht einmal mehr 32.000.

Dieser Rückgang der Todeszahlen ist mitverantwortlich für ein großes Friedhofsterben: Bereits 38 der 228 Friedhöfe im Stadtgebiet wurden für Bestattungen geschlossen. Weitere 20 sollen in den nächsten Jahren folgen, sagte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Bei 75 Friedhöfen wird die Bestattungsfläche reduziert. Über ein Drittel der städtischen Bestattungsfläche von insgesamt 1.000 Hektar wird nicht mehr benötigt. Dies geht aus einem Friedhofsentwicklungsplan hervor, den Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer vorgestellt hat.

Das Sinken der Sterberate ist insbesondere auf den Anstieg der Lebenserwartung zurückzuführen: Diese ist seit 1970 von 72,5 Jahren bei Frauen und 66,1 Jahren bei Männern (Zahlen für Westberlin) auf 81,1 bzw. 75,2 Jahre geklettert. Allerdings trugen laut Entwicklungsplan auch die Spätfolgen der beiden Weltkriege – Geburtenausfälle und Bevölkerungsverluste – maßgeblich zum Schrumpfen der Todeszahlen bei. Bis 2020 rechnet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung deshalb mit einem Wiederanstieg der Sterbefälle um rund 8.000 pro Jahr.

Trotz dieses Pendeleffekts wird die benötigte Bestattungsfläche in den nächsten Jahren weiter abnehmen. Immer mehr Menschen geben der Einäscherung gegenüber einer Erdbestattung den Vorzug. „Es hat da ganz klar einen Wandel der Bestattungskultur gegeben“, sagt Christian Müller, Pfarrer der Evangelischen St.-Thomas-Gemeinde in Neukölln. Viele Menschen in seiner Gemeinde wollten ihren Verwandten die aufwendige Grabpflege ersparen.

Der wesentlich geringere Platzbedarf bei einer Urnenbeisetzung hat zur Folge, dass Müller 2008 einen Teil des Gemeindefriedhofs schließen wird. Geplant sei, ihn in eine Parkanlage umzugestalten. „Der Friedhof ist schon seit längerem nicht mehr ausgelastet, seine Teilschließung wurde bereits 1988 beschlossen“, so Müller. Waren Friedhöfe früher oft eine einträgliche Einnahmequelle der Kirchengemeinden, stehen nun massenhaft Grabfelder leer – und bescheren den städtischen und konfessionellen Trägern rote Zahlen. Eine Entwidmung von Bestattungsflächen zu einer anderweitigen Nutzung ist jedoch höchstens mittelfristig realisierbar: Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestruhezeit der Toten beträgt 20 Jahre.

Die evangelischen Friedhöfe Berlins haben vor kurzem beschlossen, sich zu einem Friedhofsverband zusammenzuschließen. Designierter Geschäftsführer ist der Kreuzberger Pfarrer Jürgen Quandt. „Das wirtschaftliche Problem der Unterbelegung kann gemeinsam effektiver angegangen werden“, sagt Quandt. Zudem wolle man der schleichenden Abkehr von der christlichen Bestattungskultur entgegenwirken.

In dieser Hinsicht gibt es einiges zu tun. Denn immer mehr Menschen wollen abseits der Friedhöfe ihr letzte Ruhe finden und wünschen zum Beispiel Wald- oder Seebestattungen (siehe auch Interview unten).

Gestorben wird immer, beerdigt wird immer wieder anders. Das Überleben von Berlins Friedhöfen hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie auf den Wandel der Bestattungskultur die richtige Antwort finden.