Hexenmeister zu verkaufen

Online-Rollenspiele wie „World of Warcraft“ oder virtuelle Welten wie „Second Life“ haben sich zu eigenen Volkswirtschaften entwickelt. Händler verdienen mit virtuellen Gütern gutes und vor allem reales Geld. Rechtlich agieren sie in einer Grauzone: Wem gehört etwa ein virtuelles Auto?

VON FELIX ROHRBECK und MERLIN SENGER

Das Ebay-Gebot für einen Hexenmeister, der des Reitens eines epischen Flugtieres mächtig ist und außerdem einen kobaltblauen Kriegstabulk besitzt, liegt bei 151 Euro. Bis zum Ablauf der Auktion sind es aber noch mehr als zwei Tage – gut möglich also, dass der Hexenmeister am Ende für einen wesentlich höheren Betrag seinen Besitzer wechselt. Als Grund für die Versteigerung gibt der Verkäufer an, dass in zwei Wochen sein Sohn zur Welt komme und seine Frau ihm ein Ultimatum gestellt habe, sich bis dahin endgültig aus der „World of Warcraft“ zu verabschieden. Er behauptet, dass es ihm vor allem darum gehe, einen würdigen Nachfolge-Besitzer zu finden.

Der Hexenmeister ist kein Einzelfall. Die edlen Motive des Verkäufers schon. Denn der Handel mit virtuellen Gegenständen und Charakteren ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. Vor allem in China sind dutzende Firmen entstanden, die sich auf den Verkauf der „World of Warcraft“-Währung Gold spezialisiert haben. Meist junge Männer, im Fachjargon Goldfarmer genannt, spielen dafür in Schichtarbeit Computer. Ende letzten Jahres zeigte das chinesische Fernsehen sogar Bilder von Kindern, die von skrupellosen Geschäftemachern zum Dauerspielen gezwungen wurden.

Auch in Deutschland hat man den Markt für virtuelle Güter entdeckt. Das Kölner Unternehmen Matrix Virtual Goods versteht sich als Dienstleister für die Spielergemeinde und wirbt damit, seinen Kunden innerhalb weniger Stunden jede gewünschte Menge Gold zur Verfügung stellen zu können. Tausend Goldstücke gibt es für rund 55 Euro. Allerdings kann es derzeit aufgrund der Spielerweiterung „The Burning Crusade“, die bereits am ersten Handelstag Mitte Januar 2,4-Millionen-Mal verkauft wurde, zu Lieferschwierigkeiten kommen. Die Nachfrage übersteigt schlicht das Angebot.

Warum aber sind so viele Menschen bereit, für einen Gegenstand, der nur in einem Spiel existiert und praktisch kostenlos hergestellt werden kann, reales Geld zu bezahlen? Um das zu verstehen, muss man selbst ein wenig in die „World of Warcraft“ eintauchen. Weltweit versuchen mehr als 8 Millionen Spieler in einer fiktiven Welt namens Azeroth Erfahrungspunkte zu sammeln, um so den von ihnen gewählten Charakter zu stärken und auf ein höheres Level zu hieven. Die Krieger, Schamanen oder Trolle können Berufe erlernen und sich mit anderen Charakteren zu einer Gilde zusammenschließen. In dem Spiel blüht zudem ein reger Handel mit Rohstoffen, Ausrüstungsgegenständen und Waffen – wobei seltene und nützliche Gegenstände selbstverständlich einen besonders hohen Preis erzielen.

Eigentlich ist alles wie in der wirklichen Welt: Man spezialisiert sich auf bestimmte Berufe, der Preis bildet sich durch Angebot und Nachfrage, und weltweit gibt es immerhin 8 Millionen Konsumenten und Produzenten. Der amerikanische Ökonom Edward Castronova beschreibt Online-Spiele in seinem Buch „Synthetic Worlds“ als echte Volkswirtschaften, die mit Wachstumsraten von bis zu 15 Prozent sogar China übertreffen.

Daran, dass diese Volkswirtschaften nicht aus den Fugen geraten, haben die Betreiber ein starkes Interesse. Sie beobachten genau, wie sich die Preise für einzelne Gegenstände entwickeln und denken bei einer galoppierenden Inflation oder Deflation über entsprechende Gegenstrategien nach. Besonders gut lässt sich das an dem Online-Spiel „Second Life“ illustrieren. Hier geht es nicht darum, Monster zu töten oder Missionen zu erfüllen, man kann schlicht machen, wozu man Lust hat: Häuser bauen, Handel treiben oder Schneider werden. Die spielinterne Währung ist der Linden-Dollar. Sie wird vom Betreiber Linden Labs mit Hilfe einer eigenen Devisenbörse streng kontrolliert. Linden Labs denkt sogar über die Einführung von Leitzinsen nach – dem klassischen Instrument von Zentralbanken zur Steuerung der Geldmenge.

Geld bringt in den Online-Spielen – genau wie in der wirklichen Welt – Prestige und Anerkennung. Es zu erwirtschaften kostet allerdings viel Zeit, sehr viel Zeit. Viele Spieler verbringen zehn oder mehr Stunden täglich vor dem Computer. Wer da aufgrund eines Berufs in der realen Welt nicht mithalten kann, fällt schnell zurück und verliert an Ansehen. Und genau hier setzten die professionellen Händler von virtuellen Gegenständen an. Sie befriedigen die Bedürfnisse derjenigen, die in der Online-Welt Erfolg haben wollen, denen allerdings die Zeit fehlt, ihn auch selbst zu realisieren.

Die professionellen Händler sind die Schnittstelle zwischen virtueller und realer Welt. Rechtlich befinden sie sich damit in einer Grauzone, denn wem eigentlich die virtuellen Gegenstände gehören, ist nicht abschließend geklärt. Sind tausend Goldstücke, die ein Spieler bei „World of Warcraft“ gesammelt hat, sein Eigentum? Oder bleiben sie im Besitz des Spielherstellers Blizzard? Nach deutschem Recht sind virtuelle Gegenstände keine Sachen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs – was die Frage nach den Eigentumsverhältnissen kompliziert macht. Wer die Urheberrechte hat, hängt auch davon ab, in welchem Maße die Spieler durch „Crafting“ selbst Dinge kreieren. Während das Gold in „World of Warcraft“ vom Betreiber Blizzard in den Umlauf gebracht wird, kann bei „Second Life“ beispielsweise Kleidung selbst gestaltet werden.

Online-Welten wie in „World of Warcraft“ oder „Second Life“ können als kleine Volkswirtschaften gesehen werden, die sich zunehmend dem Handel mit der Außenwelt öffnen. Was ihnen fehlt, sind die passenden Rahmenbedingungen, die für Rechtssicherheit sorgen und den manchmal ausufernden Kapitalismus beschränken. Ein extremes Beispiel für die Folgen fehlender Rechtssicherheit stammt aus China. Der Spieler Zhu Caoyuan verkaufte für 680 Euro ein virtuelles Schwert, das sein Bekannter Qiu Chengwei ihm eigentlich nur als Leihgabe überlassen hatte. Qui erstattete daraufhin Anzeige wegen Diebstahls. Als die Polizei ihn darauf hinwies, dass sein Pixelschwert nicht von den chinesischen Gesetzen geschützt werde, drehte Qiu durch – und tötete seinen Bekannten bei einem Messerangriff.