RALPH BOLLMANN MACHT
: Kein Von, kein Zu, kein Dr.

Mein Professor legte mir den Aufstieg in den bürgerlichen Adelsstand nahe. Ich schlug erst mal aus

Logisch, dass ich in diesen Wochen an das Gespräch mit meinem Politikprofessor denken musste. Die mündliche Magisterprüfung war erfolgreich überstanden, wir plauderten noch. Damit, dass ich mich in die Niederungen des Journalismus begeben wollte, hatte sich der Dozent schon abgefunden. Zu einer Doktorarbeit wollte er mich trotzdem noch überreden. „Herr Bollmann“, fragte er, „wollen Sie nicht diesen bürgerlichen Adel noch erwerben?“

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich damals nicht direkt Nein gesagt. „Vielleicht später“, irgendetwas in der Art. Vor Augen stand mir, wie ich mir meine Quellen in mühevollster Kleinarbeit zusammensuchen würde. Neben dem Beruf, abends oder am Wochenende, schlecht gelaunt zum Leidwesen meines Freundes.

Ganz sicher weiß ich, dass mich der Hinweis auf das feudale Element irritierte. War nicht ein Doktortitel, selbst erarbeitet, das genaue Gegenteil von ererbtem Adel? Oder eben doch nur dessen funktionales Äquivalent, nachdem es keinen Kaiser mehr gab, der einen Bürgerlichen in den echten Adelsstand erheben könnte? Und was, wenn ich die Arbeit aus echtem Interesse am Thema schreiben würde?

Vor allem aber frage ich mich jetzt: Wenn die These meines Professors vom bürgerlichen Adel stimmt, warum legt dann ein echter Baron solchen Wert auf seinen Doktortitel? Es könnte ihm um den Nachweis gegangen sein, dass er sich auf Ererbtem nicht ausruht. Indem er einen akademischen Befähigungsnachweis anstrebte, unterwarf er sich als Adeliger den Maßstäben der bürgerlichen Leistungsgesellschaft. Das ist erst einmal sympathisch.

Er konnte damals noch nicht wissen, dass seine Popularität dereinst aus anderen Quellen sprudeln würde. Die Faszination breiter Kreise für adeligen Glanz entspringt ja auch der Sehnsucht nach einer heilen Welt, deren Bewohner noch nichts wissen von neuzeitlichem Leistungsdruck. Die nicht nach dem Schweiß bürgerlicher Arbeit riecht und dem Kampf um sozialen Status, die einen bewahrt vor dem ewigen Reformieren und Verbessern, weil eine Lichtgestalt schon alles richtet. In der es einen Pakt gibt zwischen denen „da oben“ und denen „da unten“, der kurz gesagt bedeutet: Alimentation statt Aufstieg. Es ist ja kein Zufall, dass Deutschlands Konservative den Versorgungsstaat stets ausbauten und zugleich am sozial undurchlässigen Bildungssystem festhielten.

Dass es der Promovend dann doch nicht ernst meinte mit der Meritokratie, dass er nichts leisten, sondern als Leistungsträger nur erscheinen wollte: Das muss auf die Anhänger dieses Modells schon wieder beruhigend wirken. Auch wenn ich damals nicht auf die Idee gekommen wäre, mein Professor könne es mit dem „Erwerben“ des Doktortitels wörtlich nehmen. Und das, obwohl ich für einen meiner ersten taz-Artikel 1994 eine Recherche unter Ghostwritern unternahm und erstaunt war, wie verächtlich eine Vertreterin der Branche über Selbstschreiber herzog. „Die Leute überfordern sich mit ihren eigenen Ansprüchen“, sagte sie. Aber auch mit sieben Jahren Quälerei werde man einen Professor, der fünfhundert Arbeiten gelesen hat, nicht begeistern.

Soll ich es also doch noch probieren, mit einem solch pragmatischen Ansatz? Die jüngste Debatte hat mir die Lust dazu bis auf weiteres verleidet. Lieber habe ich erst einmal einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben.

Ralph Bollmann leitet das Parlamentsbüro der taz. Am 1. April wechselt er zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Foto: Urbach