Digital ist besser

Kitty-Yo sei pleite, heißt es. Stimmt so nicht, sagt Labelchef Raik Hölzel. Im Gegenteil: Kitty-Yo verflüssigt sich und setzt alles aufs digitale Geschäft

INTERVIEW RENÉ HAMANN

taz: Man hört, dass Kitty-Yo, Berlins altes Hype-Label, im Insolvenzverfahren steckt. Stimmt das?

Raik Hölzel: Nicht ganz. Das Label Kitty-Yo, 1994 von mir gegründet, ist nicht pleite. Das Insolvenzverfahren betrifft nur die Kitty-Yo Music Productions GmbH, die wir 2004 zusätzlich gegründet hatten, um mit externem Kapital vielversprechende Produktionen noch stärker unterstützen zu können. Das hat nicht so funktioniert.

Und wie geht es jetzt weiter?

Das Verfahren hat auf den eigentlichen Geschäftsbetrieb keine großen Auswirkungen. Es befeuerte aber den schon länger existierenden Gedanken mit, das Geschäftsmodell radikal zu verändern. Der Schritt, ausschließlich digital zu werden, ist vor über einem Jahr gereift und jetzt an einen Punkt gekommen, an dem es tatsächlich so weit ist.

Was bedeutet die Umstellung „auf digital“? Lässt sich damit wirklich Geld verdienen?

In den letzten sechs Monaten hatten wir bis auf ein, zwei 12inches keine physische Veröffentlichung. Dafür lief das digitale Geschäft immer besser. Was die Idee stützte, das Hauptaugenmerk eben darauf zu legen.

Heißt das, dass es nie wieder einen „physical release“ bei Kitty-Yo geben wird?

Nein, das heißt es vermutlich nicht. Ich sehe auch nicht, dass die Zukunft der Musikindustrie allein im Digitalen liegt. Vielleicht ist es bald wieder möglich, Sachen zu veröffentlichen, die vor zehn Jahren nicht gingen. In sehr kleinen Auflagen. Man hatte bisher immer das Problem, dass das Budget gedeckt werden musste. Daher auch das externe Kapital. So ein Release musste sich refinanzieren, das hat mich manchmal sehr unglücklich gemacht, weil viele sehr gute Musik eben nicht veröffentlicht werden konnte, weil es sich nicht rentiert hätte. Wir haben in den letzten Jahren mit Sublabeln versucht, da mehr Freiräume zu schaffen. Das hat aber bis auf kitty-cuts nicht wirklich funktioniert.

Das klingt, als ob es für euch eher der Anfang eines neuen Anfangs ist als der Anfang vom Ende.

Auf jeden Fall. Das ist auch der Versuch, die verkrusteten Strukturen der Musikbranche etwas aufzubrechen. Im Grunde ist die Branche ja eine sehr konservative. Das digitale Geschäft wurde komplett verschlafen, und die Industrie hat ihre eigene Klientel pauschal kriminalisiert.

Michael Meyer, Kölner DJ und Mitbetreiber des großen Labels Kompakt, hat laut einem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ für 2007 „das große Labelsterben“ vorausgesagt.

Vielleicht meinte er nur diese unglaubliche Flut an Dancelabels. Wenn ein bestimmtes Subgenre plötzlich nicht mehr angesagt ist, sterben diese One-Man-Dance-Labels eben. Das ist das Problem an Spezialisierung. Sobald die Klientel rauswächst, ist Schicht. Die Diversifizierung, die wir hingegen immer versucht haben – also sehr verschiedene Stile aus verschiedene Ländern –hat uns mehrmals den Arsch gerettet.

Peaches, Gonzales, Kante – viele ehemalige Zugpferde von Kitty-Yo haben das Label gewechselt. Warum?

Das ist ein normaler Prozess, den ich auch erst lernen musste. Am Anfang ist jeder Künstler ein neuer, jede Platte ist die erste Platte, das Label ist die Familie. Nach der dritten Platte, die meist die letzte Vertragsplatte ist, werden die Begehrlichkeiten dann größer. Die kann ein Label wie Kitty-Yo dann eben nicht mehr tragen. Diese Erfahrungen führen zu Gelassenheit.

Auch die „zweite Kitty-Yo-Generation“ (Sex in Dallas, Tarwater) ist mittlerweile abgesprungen. Mit welchen neuen Namen geht ihr jetzt an den Start?

Ed Laliq, tolle Stimme, abgefahrene Produktion, klingt wie aus den frühen 80ern. Dann gibt es einige Hiphop-Releases, zwei Shadow Huntaz-Alben, Stade aus der Schweiz. NQ, den wir schon auf der letzten „Futurism“-Compilation dabei hatten. Und auch The Tape feat. RQM und Jimi Tenor kommen mit neuen Sachen.

Und wie gehen eure jetzigen Künstler mit der Umstellung auf digital um?

Die meisten waren sehr euphorisch. Sie haben jetzt mehr Freiraum, weil nach dem ersten Release nicht mehr ewig bis zum zweiten gewartet werden muss. Das kann man jetzt machen wie man will.

Denkt man das weiter, müsste man irgendwann zu der Erkenntnis kommen, dass sich das Label als Zwischenstelle zwischen Künstler und Konsument bald erledigt haben könnte.

Die Überlegung gab es ja schon immer. Ist natürlich Quatsch. Natürlich muss sich ein Label, das in zehn Jahren noch existieren will, verändern. Und natürlich ist ein Künstler am besten dran, wenn er sich selbst vermarkten kann. Aber bei den meisten herrscht eben auch eine erschreckende Unkenntnis über wirtschaftliche und vertragliche Details vor. Und für die Konsumenten ist ein Label weiterhin eine angenehme Form der Vorauswahl. Auf diese Vorauswahl wollen die Leute ja vertrauen – und gleichzeitig ein Image, einen Brand eben auch mitkaufen.

Und Sie glauben, dass der Name Kitty-Yo auch ins Netz hineinstrahlt und da weiterhin Fans bindet?

Ja, wir waren immerhin als Berlin-Label die Ersten. Und auch, wenn sich inzwischen hier genügend andere Labels tummeln und viele Sachen, die ich toll finde, oft schon irgendwo anders untergekommen sind: Wir beobachten immer noch viel. Im Moment diskutieren wir über Mittekill, eine sehr interessante Band. Aber Berlin selbst hat sich ja auch stark verändert – es besteht aus vielen Amerikanern und Leuten aus zig anderen Nationalitäten. Sehr international eben, so wie wir. Allein deswegen wird die Marke Kitty-Yo immer weiter fortbestehen.