berliner szenen Totes Wahrzeichen

Der Platz vom Bär ist leer

Um elf Uhr hatte er noch in jedem Arm eine Frau, wie man es von Männern kennt, die Partylöwen genannt werden. Nur dass der Mann kein Partylöwe war, sondern ein Berliner Bär, das heißt ein Mann, der ein Bärenkostüm anhatte aus hellbraunem Fell, mit Tapspfoten, runden Ohren und Band um den Hals. Und die Frauen waren nicht wie die Frauen, die Partylöwen im Arm haben. Sie waren Berlinbesucherinnen um die 50, steckten in wetterfesten Parkas und ließen sich von ihren Ehemännern mit dem Berliner Wappentier fotografieren, und das vorm Brandenburger Tor.

Um halb zwölf ist er umgekippt. Ihm war zu warm geworden unter seiner Maske, er hatte zu wenig Luft. Die Ärzte und Krankenpfleger, die in drei Wagen mit Blaulicht auf den Pariser Platz fuhren, versuchten ihm wieder auf die Beine zu helfen. Erst nahmen sie ihm den Bärenkopf ab und legten ihn aufs Pflaster. Eine halbe Stunde drückten sie rhythmisch auf sein Herz. Immer wieder. Ein Kamerateam kam vorbei, aber anscheinend war es für eine Veranstaltung im Regierungsviertel gebucht, also zog es mit Kamera und Puschelmikrofon weiter. Dann gaben die Mediziner auf. Sie verfrachteten den Bären in einen der Krankenwagen, der noch eine Weile stehen blieb, wahrscheinlich für den Papierkram, Todesursache usw. Irgendwann fuhr der Wagen mit der Leiche am Adlon-Hotel vorbei vom Platz herunter.

Schon um eins stand der Bären-Nachfolger parat: ein Wirtschaftsstudent in Uniform der sowjetischen Armee, in der Hand die rote Fahne. Die Touristen lassen sich jetzt links und rechts von ihm fotografieren. Direkt daneben hat jemand eine Rose gelegt und ein kleines Stoffbärchen. Auf einer Schlaufe steht: „Ohne Bär, der Platz ist leer.“ MAREKE ADEN