„Entwickelt Kühlschränke für China!“

Das neoliberale Bündnis von Nationalstaaten und Kapital ist ein Auslaufmodell, sagt Soziologe Ulrich Beck. Das Weltwirtschaftsforum in Davos zeige, dass nun Zivilgesellschaft und Konzerne an einem Strang ziehen

taz: In Davos tagt das Weltwirtschaftsforum, die globale Elite der Manager und Politiker. Erfüllt diese Veranstaltung das selbstgesteckte Ziel, den Zustand der Welt zu verbessern?

Ulrich Beck: Davos ist ein Zeichen dafür, dass die bisherigen Prämissen von Macht und Herrschaft an Gültigkeit verlieren. Das neoliberale Bündnis von Nationalstaaten und Kapital steht zur Disposition.

Woran knüpfen Sie diese Hoffnung?

In der Klimapolitik ist ein Paradigmenwechsel zu bemerken. Es dämmert, dass die Souveränität des Marktes angesichts der drohenden Klimakatastrophe eine tödliche Bedrohung darstellt. Große Teile der transnationalen Wirtschaft haben deshalb die Front gewechselt und versuchen, im Wettlauf um die Märkte für Umwelttechnologie und erneuerbare Energien gute Ausgangspositionen zu ergattern. Das heißt aber auch: Es zeichnet sich ein neues Bündnis ab zwischen den zivilgesellschaftlichen Bewegungen und den Großkonzernen. Vor wenigen Tagen erst haben US-Konzerne Präsident George Bush zur ökologischen Konversion aufgefordert. Die Manager plädieren dafür, mit staatlicher Regulierung eine bessere Klimapolitik zu machen.

Nicht nur in den USA besteht Klimapolitik weitgehend aus Versprechungen.

Können Sie sich ein grünes Großbritannien vorstellen? Aber darum geht es. Premierminister Tony Blair hat entdeckt, dass ihm die internationale Klimapolitik Wirkungsmöglichkeiten eröffnet, die den nationalen Rahmen überschreiten. Das ist exemplarisch: Klimapolitik ermächtigt – gerade auch lahmende Politiker.

Davos als Indiz eines neuen Multilateralismus?

Vielleicht werden wir diese Veranstaltung später einmal als Wendepunkt begreifen.

Gibt es Beispiele für den neuen Stellenwert der internationalen Kooperation?

Die Europäische Kommission nimmt in der Klimapolitik kein Blatt vor den Mund. Der Autoindustrie tut sie damit richtig weh, besonders der deutschen.

Im nationalen Rahmen wäre das unmöglich?

Angela Merkel als Ratspräsidentin der Europäischen Union sagt und tut Dinge, die ihren Interessen als Bundeskanzlerin zuwiderlaufen. Als Kanzlerin will sie die deutsche Wirtschaft schützen, als europäische Politikerin denkt sie an das Weltklima. Europa tut uns gut. Es hilft uns, die eigenen Begrenzungen zu überwinden.

Sie entwerfen ein positives Bild der Globalisierung. Dieses steht im Gegensatz zur Angst, die viele Menschen gerade in Deutschland empfinden.

Viele Deutsche betrachten die Globalisierung nur als Naturschicksal des Weltmarktes, als Export von Arbeitsplätzen oder als Fremdheit im eigenen Lande. Dabei sehen sie den Machtkuchen nicht, der jetzt verteilt wird.

Sie argumentieren als Soziologe. Den einzelnen Menschen interessiert aber eher, dass sein Arbeitsplatz nach China umzieht und der Lebensstandard sinkt.

Eine neue Sozialpolitik bedarf europäischer oder gar weltweiter Antworten. Die EU könnte etwa eine Vereinbarung mit China treffen. Zum Beispiel: Wir entwickeln hier supersparsame Kühlschränke; China produziert und verkauft sie. Auf diese Art würden wir in Deutschland neue Arbeitsplätze schaffen, ebenso in China, und gleichzeitig etwas gegen die Energieverschwendung tun.

Das klingt nicht nach einer Win-win-Situation. Was machen die Beschäftigten, die hierzulande Hausgeräte hergestellt haben und arbeitslos werden?

Wir würden hier doch neue Technologien erforschen und bräuchten dafür auch neue Arbeitskräfte.

Aber andere als bisher. Viele Menschen blieben dabei auf der Strecke.

Das eben darf nicht passieren. Wir müssen die soziale Frage neu stellen und beantworten.

Wie könnte eine neue Sozialpolitik aussehen?

Eine Schlüsseloption ist das so genannte bedingungslose Grundeinkommen. Jeder deutsche Staatsbürger würde einen Betrag in der Größenordnung von 800 Euro pro Monat vom Staat erhalten – egal, ob er arbeitet oder nicht. Die soziale Sicherung würde von der Erwerbsarbeit abgekoppelt, was angesichts der andauernden Arbeitslosigkeit unbedingt notwendig ist. Die Folge wäre ein neues Gefühl sozialer Sicherheit und Freiheit in einem Kapitalismus ohne Vollbeschäftigung.

Wieso plädieren Sie für ein europaweites Grundeinkommen?

Nur die EU kann das gegen nationale Widerstände durchsetzen. Damit würde dieses Monster „Brüssel“ für die Menschen greifbar und nützlich. Und dann hätte die Idee des Grundeinkommens vielleicht ansteckende Ausstrahlung, der sich andere Länder nicht entziehen können.

INTERVIEW: HANNES KOCH